Choreografie des Durchhaltens
Bis zu sechseinhalb Stunden Training täglich – Profitänzer Robert Robinson treibt seinen Körper ans Limit. Ein einziger Fehltritt kann alles beenden.
Von Luise Moormann (Text) und Kai Weise (Fotos)

Robert Robinson ruft: «Yeah, beautiful!», während er im Trainingsraum des Staatsballetts Hannover zwei Tänzerinnen beobachtet. Sie drehen sich, strecken die Arme, lassen sich fallen. Der 31-Jährige tanzt seit 2019 im Ensemble, seit zwei Jahren choreografiert er daneben selbst. Sein neues Stück «Nobody knows» wird bald aufgeführt – und schon in der Probe wird klar: Was auf der Bühne so leicht wirkt, ist harte körperliche und mentale Arbeit.
Auf dreieinhalb Stunden Training am Samstagvormittag folgen weitere drei. Etwa 3500 Euro brutto verdient ein*e Tänzer*in im Monat, wie ZEIT ONLINE auf der Grundlage eines Datensatzes der Bundesagentur für Arbeit errechnete. Robinson hat sein Leben dem Tanz gewidmet: Mit fünf begann seine Begeisterung für klassisches Ballett. Nach dem Abschluss an der John Cranko School in Stuttgart folgte das Stuttgarter Ballett. Doch dieser Weg ist steinig. «Insbesondere das klassische Ballett dreht sich viel um eine bestimmte Körper-Ästhetik», sagt er. Im jungen Alter habe er daran gezweifelt, diesem Körperideal entsprechen zu können.



Das klassische Ballett dreht sich viel um eine bestimmte Körper-Ästhetik.

Dorothy Meyer, Ernährungsberaterin an der Hochschule für Musik und Theater München, betont: «Balletttänzer*innen haben ein dreimal höheres Risiko für Essstörungen als die Allgemeinbevölkerung. Ein wichtiger Grund dafür ist der Schlankheitsdruck.» Gleichzeitig sei Ballett jedoch auch harte Knochenarbeit, sagt ihr Kollege Marc Geifes: «Die ständige Belastung formt kräftige Muskeln in Waden, Beinen und dem Rumpf – beim Tänzer zusätzlich im Oberkörper.» Ein Schlüssel zur Leistungsfähigkeit liege im Prinzip der Superkompensation, so Geifes: «Wer trainiert und sich dann regeneriert, steigert langfristig seine Belastbarkeit.»
Schwere Verletzungen hat Robinson bislang vermieden, dennoch machen ihm gelegentlich die Knie zu schaffen. Eine Verletzung, die das Karriereende bedeutet, ist eine konstante Sorge vieler Tänzer*innen. Doch sie geben nicht so leicht auf: «Ich kenne viele, denen gesagt wurde, sie könnten nach ihrer Verletzung nie wieder tanzen – und sie haben das Gegenteil bewiesen», erzählt Robinson. An einen festen Ernährungsplan hält er sich nicht, und er schätzt, dass etwa die Hälfte der Kompagnie raucht und trinkt: «Viele von uns sind ein bisschen rebellisch.»
Gleichzeitig spürt Robinson, wie seine Beweglichkeit nachlässt. In drei Monaten verlässt er das Staatsballett Hannover und will künftig als freier Tänzer und Choreograf arbeiten. Dass sein Stück «Nobody knows» heißt, ist kein Zufall: Es kreist um das Gefühl, das Ungewisse nicht kontrollieren zu können. «Choreografieren ist für mich eine Art Therapie», sagt er. Aufhören mit dem Tanzen will er deshalb noch lange nicht. «Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass das Tanzen mein Leben ist, aber es ist definitiv ein großer Teil davon.»




Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass das Tanzen mein Leben ist, aber es ist definitiv ein großer Teil davon.




Hinweis der Redaktion: Der Text wurde im Frühjahr 2024 geschrieben