Die Kröten, die im Bauplan fehlen

Am Pankower Tor in Berlin sollen 2000 Wohnungen entstehen. Doch rund 800 streng geschützte Kreuzkröten leben auf dem Gelände und verzögern den Bau. Der Fall steht exemplarisch für den Konflikt zwischen Stadtplanung und Naturschutz. Von Hagen Plasswich (Text) und Annabel Karmelk (Fotos)

Eine Kreuzkröte wird auf dem Gelände Pankower Tor in einer dunklen Umgebung sanft an den Hinterbeinen festgehalten und in den Händen eines Wissenschaftlers von einer Taschenlampe beleuchtet.
Frederic hält eine Kreuzkröte. Wichtig ist, sie an den Hinterbeinen gut festzuhalten, da sie sonst schnell versuchen zu entkommen. Copyright: Annabel Karmelk

Wenn es dunkel wird, macht sich Frederic Griesbaum auf den Weg. Stirnlampe, Kescher, Notizbuch. Der Biologe arbeitet für das Museum für Naturkunde in Berlin, sein Forschungsschwerpunkt sind Amphibien. An diesem Abend führt ihn der Weg wieder auf das Gelände des stillgelegten Rangierbahnhofs in Pankow. Zwischen Tümpeln, Schotter und Birken sucht er nach einem der letzten Vorkommen der Kreuzkröte in Berlin – rund 800 Individuen leben hier noch, nach vorsichtigen Schätzungen. Eine kleine Population, aber eine mit großem Einfluss.

Die Kreuzkröte ist streng geschützt und in Berlin vom Aussterben bedroht. Bundesweit gilt sie als stark gefährdet. Seit Jahren dokumentiert Griesbaum hier ihr Verhalten, zählt Tiere, analysiert Gewässer. Besonders in den Frühlingsmonaten ist Paarungszeit – ein empfindliches Zeitfenster. Dann versammeln sich die Männchen an flachen Tümpeln und rufen mit metallischen Lauten nach Weibchen. Die Rufe sind kilometerweit zu hören und geben Hinweise auf die Verbreitung der Art.

Was wie eine Brache wirkt, ist in Wahrheit ein Biotopverbund mit besonderem ökologischen Wert: offene, vegetationsarme Böden, flache, temporär gefüllte Wasserstellen, kaum Störungen. Für viele unscheinbar – für die Kreuzkröte ein idealer Lebensraum. Tagsüber verkriechen sich die nachtaktiven Tiere unter Steinen oder in lockerem Kies, geschützt vor Fressfeinden. Doch das Gelände soll verschwinden.

Eine Lache am alten Rangierbahnhof in Berlin-Pankow. Zu dieser Lache am alten Rangierbahnhof in Berlin-Pankow kommen die Kreuzkrötenmännchen bei Anbruch der Dunkelheit, um die Weibchen mit ihren Lauten anzulocken. Bestenfalls kommt es zu einer Paarung. Copyright: Annabel Karmelk
Frederic's Begeisterung für die Kreuzkröte kommt nicht von irgendwo: Er begeistert sich schon seit längerer Zeit für unterschiedliche Frosch- und Krötenarten und war schon in den unterschiedlichsten Habitaten unterwegs. Auch andere Amphibien faszinieren ihn, besonders Schlangen. Copyright: Annabel Karmelk
Abstrich einer Kreuzkröte. Dies untersucht Frederic dann im Labor, um den Gesundheitszustand der Kröte zu bestimmen. Copyright: Annabel Karmelk

Als geschützte Art mit nur noch einem einzigen bekannten Vorkommen, ist das Land Berlin gesetzlich verpflichtet hier entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Frederic Griesbaum

Seit 1997 liegt das 27 Hektar große Areal brach. Nun will die Krieger-Gruppe es bebauen: das Stadtquartier Pankower Tor mit Wohnungen, Kita, Büros, medizinischen Einrichtungen und einem Möbelhaus. Gut angebunden, energieeffizient, urban. Doch der Preis wäre hoch – denn mit dem Quartier verschwände eines der letzten Rückzugsgebiete für spezialisierte Arten in der Hauptstadt.

Rund 58 Prozent der geplanten Fläche sollen versiegelt werden. Was heute Regenwasser aufnimmt und langsam wieder abgibt, würde künftig mit Beton, Asphalt und Tiefgaragen überzogen. Die natürlichen Tümpel – verschwunden. Die Kreuzkröten – verdrängt.

Naturschutzverbände wie der NABU haben deshalb gegen eine Ausnahmegenehmigung geklagt, die den Eingriff trotz Schutzstatus ermöglichen sollte. Ein offizieller Baustopp wurde zwar nie verhängt, doch der Konflikt um den Artenschutz hat das Projekt ausgebremst. Inzwischen wird über einen Kompromiss diskutiert: Teile des Geländes könnten als Habitat erhalten bleiben, während andere bebaut werden. Ob das funktioniert, ist offen – eine neue Klage ist bereits in Vorbereitung.

Griesbaum weiß: Eine Umsiedlung funktioniert nur, wenn das neue Habitat dem alten in Struktur, Bodenbeschaffenheit und Mikroklima nahekommt. Eine einfache Verlegung in ein Schutzgebiet reicht nicht aus. «Bei der Fläche handelt es sich zweifelsohne um ein Politikum», sagt er, «und aus meiner persönlichen Sicht um ein Negativbeispiel von Kapitalinteressen, die mit Hilfe des Staates Stück für Stück Natur zerstören.»

Nahaufnahme einer Kreuzkröte. Sie ist im Anhang der Fauna-Flora-Habitat -Richtlinie gelistet und damit europaweit streng geschützt. Copyright: Annabel Karmelk

Bei der Fläche handelt es sich zweifelsohne um ein Politikum und aus meiner persönlichen Sicht um ein Negativbeispiel von Kapitalinteressen, die mit Hilfe des Staates Stück für Stück Natur zerstören.

Frederic Griesbaum

Die Kreuzkröte ist eine Überlebenskünstlerin. Sie siedelt auf Baustellen, in Kiesgruben und auf Brachflächen. Was für Investoren wie ein «unwirtschaftliches Gelände» wirkt, ist für sie ideal. Gleichzeitig ist sie selbst Teil größerer ökologischer Zusammenhänge: Sie frisst Insekten, wird zur Nahrung für Vögel und Säugetiere und schafft als Pionierart Lebensbedingungen für weitere Arten. Ihr Verschwinden hätte Folgen – nicht nur für die Biodiversität, sondern für das gesamte Stadtklima.

Vertreter der Immobilienbranche werfen Naturschützer*innen vor, eine Art künstlich auf einem unwirtlichen Gelände erhalten zu wollen – und damit Wohnraumentwicklung zu blockieren. Doch das greift zu kurz. Denn es geht nicht nur um Kröten. Es geht um die Frage, wie in einer wachsenden Stadt gebaut werden kann, ohne die letzten ökologischen Rückzugsorte vollständig zu vernichten.

Eine mögliche Lösung wäre eine Kombination aus Renaturierung und ökologisch verträglicher Bebauung. Griesbaums Forschung könnte dabei helfen, die dafür nötigen Grundlagen zu schaffen – wissenschaftlich fundiert, nicht politisch motiviert. «Als geschützte Art mit nur noch einem einzigen bekannten Vorkommen, ist das Land Berlin gesetzlich verpflichtet hier entsprechende Maßnahmen zu ergreifen», sagt er.

Noch ist unklar, wie es weitergeht. Sicher ist nur: Das Schicksal der Kreuzkröten in Pankow ist ein Beispiel für die Spannungen, die entstehen, wenn Städte wachsen. Und für die Entscheidungen, die getroffen werden müssen – zwischen Verdichtung und Vielfalt, Rendite und Rückzugsort.

Wissenschaftler Frederic Griesbaum leuchtet mit einer Stirnlampe in eine Gesteinsspalte auf der Suche nach Kreuzkröten auf dem Gelände des Pankower Tors. Die Kreuzkröte versteckt sich tagsüber gerne in Gesteinspalten, um sich vor Austrocknung zu schützen. Sie kommen erst zum Abend aus ihrem Tagesversteck raus und machen sich auf den Weg Richtung Gewässer. Copyright: Annabel Karmelk

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