Was Schubladen über uns verraten
Schubladen bewahren Persönliches und erzählen vom Leben ihrer Besitzer*innen. Grund genug, einmal genauer hinzuschauen. Eine charmant-unernste Analyse, inspiriert von Betty Einhaus (Fotos) & Finn Andorra (Text).

Schubladen fristen ein Schattendasein – im wahrsten Sinne des Wortes: Meist stecken sie in Tischen oder Schränken, darin herrscht Dunkelheit, ihren Inhalt bekommt die Außenwelt fast nie zu sehen. Schubladen sind praktische Alltagshelfer: Was nicht herumliegen soll, wird hineingeprummelt – Socken, Stifte, alte Fotos, Reißzwecken, Besteck, Maulschlüssel.
Nur selten herrscht Struktur wie in einem Besteckkasten oder einem Werkzeugschrank mit seinen Schubfächern. Meist artet das Schubladenstillleben in mehr oder weniger systematisches Chaos aus: Schubladennutzer*innen wissen vielleicht noch, in welchem Fach das Nähgarn oder die Briefumschläge verschwunden sind – doch wo genau diese Gegenstände dann liegen, davon haben die wenigsten ein klares Bild. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Ergibt das organisierte Durcheinander vielleicht doch einen Sinn? Lässt sich eine Ästhetik im Alltag des Verwahrens erkennen? Dieser Frage geht Betty Einhaus mit ihrem Fotoprojekt nach.
Die Redaktion hat sich die Bilder vorgenommen und versucht zu interpretieren, wem die Schubladen gehören könnten.
Der einzelne Handgelenkschoner wirkt wie ein Alibi.


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Der Betrag war zu gering, um dafür extra zur Bank zu gehen.


Diese Schublade gehört einer Person aus der oberen Mittelschicht. Die Geburtstagskarte mit den Glückwünschen ungelesen schon lange weggeschmissen aber die hundertdreißig Euro sorglos in die Schubladen abgelegt, da der Betrag zu gering ist um dafür zur Bank zu gehen. Eine große Zuneigung zur Fotografie liegtz bei der Person vor, da wir viel Kamerazubehör sehen. Die Person ist mittelmäßig organisisert, da die Dinge einfach nur abgelegt wurden, allerdings noch in einem Überschaubaren Rahmen. Es erinnert an eine Schublade mit vielen Dingen, welche nicht im täglichen Gebrauch sind, aber trotzdem wichtig. Eine Schublade in der man sucht wenn man sich nicht ganz sicher ist wo man anfangen soll. Eine „Wenn dann da“ Schublade.
Ich frage mich, ob sich diese Person für natürliche Heilkunde interessiert.


Das erste was ich spannend finde ist der Weidenzweig. Ich frage mich ob sich diese Person für natürliche Heilkunde interessiert. Weidenrinde enthält den Wirkstoff “Salicin,” der Kopfschmerzen lindern kann. Aus dieser Entdeckung wurde die Idee für das bekannte Medikament Aspirin geboren.
Das Muschel Emblem, was wahrscheinlich eine Jacobsmuschel zeigt, erinnert mich an die Jacobswege, das sind Pilgerrouten die durch Europa führen. Auch der Wanderschuhanhänger passt dazu, vermutlich ist die Person auf dem Weg gegangen und hat in Spanien oder Portugal ein paar Muscheln aufgegabelt.
Ein Haargummi mit einigen seiner dunkeln Locken behält sie als Erinnerung an die schöne Zeit zusammen.


Das ist Lena, 32. Anfang des Jahres hat sie zum 4. Mal ihre große Liebe in Marokko besucht. Ein Haargummi mit einigen seiner dunkeln Locken behält sie als Erinnerung, an die schöne Zeit zusammen. Hoffentlich kann Sofian sie diesen Sommer in Europa besuchen kommen. Die süßen Straßenkatzen in Marrakesh haben sie nicht kalt gelassen – sie nimmt eine mit nach Deutschland.
Lieber Schubladenmensch, ich hoffe, du gibst Pasta, Chianti & Co bald eine zweite Chance!

