Magdeburg: Wie umgehen, mit der Gewalt?

Fast ein Jahr nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter. Doch während die Justiz verhandelt, kämpfen viele Menschen mit rassistischen Übergriffen seit der Tat. Von E. Prudlik (Text), L. Kellner, F.Andorra und M. Trammer (Film)

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An Heiligabend, wenige Tage nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt, fuhr Fatima A. mit ihrem Mann zum Hasselbachplatz, dem einzigen Ort, an dem zu dieser Zeit noch etwas zu essen zu ergattern war. Ihr Mann hatte die Intensivpflegerin, die lieber anonym bleiben will, von ihrem Spätdienst eingesammelt. «Scheiß Ausländer, scheiß Araber, wir bringen euch um», brüllte ein Mann wie aus dem Nichts, während er um das Paar herum schlich. An diesem Abend landeten Fatima A. und ihr Partner im selben Krankenhaus, in dem sie zuvor noch einige der Verletzten des Anschlages versorgt hatte.

Sechs Menschen starben und über dreihundert wurden verletzt, als ein Mann im Dezember 2024 über den Weihnachtsmarkt der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts in eine Menschenmenge raste. Der Prozess gegen den Angeklagten Taleb A. begann nun, elf Monate nach der Tat, unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen. Sebastian Hesse vom MDR nannte es den «größten Prozess Sachsen-Anhalts in der Nachkriegszeit».

Der Anschlag zerstörte Leben. Angehörige trauern um geliebte Menschen, andere kämpfen mit körperlichen und seelischen Verletzungen. Gleichzeitig erleben viele seitdem Hass und Ausgrenzung. Bereits kurz nach der Tat kippte die Stimmung der Stadt. Betroffene berichteten vermehrt von rassistisch motivierten Übergriffen, und auch die öffentliche Debatte arbeitete sich an der saudi-arabischen Herkunft des Täters ab, obwohl dieser regelmäßig AfD-Inhalte in den sozialen Medien teilte.

Für Fatima A. und ihren Mann ist ein halbes Jahr nach der Tat eines klar: Sie wollen weg aus Deutschland, weg von Magdeburg. «Die Stimmung war schlimm», so die Intensivpflegerin, «Magdeburg war plötzlich nicht mehr die kleine, schöne und fröhliche Stadt, sondern nur noch von Hass erfüllt» 

Mit Hakenkreuzschmierereien und Nazisymbolen auf Hauswänden, Fahrzeugen und Schulen, zeigt sich dieser Hass auch im öffentlichen Raum. Seit Anfang des Jahres würden solche Graffitis laut Magdeburger Polizei vermehrt zu finden sein. Zudem versammelten sich Neonazis und marschierten durch die Straßen, um die Tat für sich zu instrumentalisieren. 

Laut dem Sprecher vom Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt LAMSA e. V., wurden allein bis März dieses Jahres schon 40 Fälle von rassistisch motivierten Angriffen gemeldet, die Dunkelziffer liegt wohl aber deutlich höher. Die Angriffe nehmen bis heute, fast ein Jahr nach dem Anschlag, noch immer kein Ende.

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Jeder gute Mensch, der hier wegzieht, ist ein Verlust für Magdeburg!

Fatima A.

Der 25-jährige Saeed Saeed grübelt täglich darüber nach, ob er wegziehen sollte, und dann bleibt er aber doch. Weggehen sei nicht die Lösung, «wir müssen den Hass bekämpfen, mit Begegnungstreffen, Dialog-Angeboten und einem Austausch aller Kulturen», sagt er, «wir sind ein Teil von Magdeburg». Die Vernetzung der Organisationen, so sagt er, habe schon unglaublich viel gebracht, auch wenn der Kampf um die Finanzierung Jahr für Jahr nicht ausbleibt.

Auch Fares Saleh Aga will bleiben, selbst nachdem er Opfer eines rassistisch motivierten Angriffs am Hasselbachplatz wurde. Mit seinem „Opa Imbiss“ hat er einen Begegnungsort geschaffen. «Ich habe mein Leben, mein Studium, meinen Laden, meine Freunde hier und die letzten 10 Jahre, die ich hier gelebt habe, einfach so wegzuwerfen», sagt er, «das geht nicht».

Auf dem Fest der Kulturen stehen Stände aus über 20 Nationen. Fatima malt einer Besucherin ein Henna-Tattoo auf den Arm. «Solche Momente machen mich sehr glücklich», sagt sie strahlend. «Kein Rassismus, keine Diskriminierung, wenn es immer so wäre, dann wäre die Welt schöner.» Denn den Rassismus, sagt sie, den kennt sie schon ihr ganzes Leben.

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