Mit Herz und Spachtel gegen Naziparolen

Irmela Mensah-Schramm entfernt rechte Symbole aus dem öffentlichen Raum. Über 140.000 Botschaften hat sie bereits beseitigt – die Angriffe auf sie bleiben. Von Tetyana Chernyavska (Text) und Jasper Hill (Fotos)

Irmela Mensah-Schramm mit weißem Haar und einer blauen Jacke steht vor einer überwucherten Hecke und einem grauen Stromkasten, der mit Graffiti besprüht ist. Sie übersprüht mit ihrer rechten Hand rechtsextreme Graffiti mit roter Farbe. Im Hintergrund sind ein paar kahle Bäume und ein mehrstöckiges Wohngebäude zu sehen. Die Umgebung wirkt ruhig und verlassen.

Ein Spachtel raspelt über verklebtes Papier. Einzelne Schnipsel und Späne fallen zu Boden. Der Aufkleber mit der rechtsgerichteten Hassbotschaft wird entfernt. Zwei Tage später an einem anderen Ort: das Zischen einer Sprühdose. Ein rotes Herz überdeckt die Stelle, an der zuvor ein Hakenkreuz zu sehen war. Es ist eine mühsame Arbeit, die Irmela Mensah-Schramm seit Jahrzehnten immer wieder auf sich nimmt. Interesse, Unverständnis und Hass schlagen ihr entgegen. Hassnachrichten und tätliche Übergriffe gehören mittlerweile zum Alltag der Aktivistin.

Irmela Mensah-Schramm wird im Dezember 1945 in Stuttgart geboren – kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Folgen des Naziregimes sind in ihrer Umgebung fast allgegenwärtig. Doch es bedarf rund 40 Jahre und eines Ortswechsels, bis sie ihren Kampf gegen den Rechtsextremismus aufnimmt. Im Jahr 1986, als sie 41 Jahre alt ist, fällt an der Bushaltestelle direkt vor ihrem Haus im Berliner Stadtteil Wannsee ein Aufkleber mit der provokanten Aufschrift «Freiheit für Rudolf Heß» auf. Dieser Aufkleber, benannt nach einem der Hauptangeklagten des Internationalen Militärgerichtshofs Nürnberg, widerspricht nicht nur ihren politischen Überzeugungen, sondern auch den Erzählungen ihrer Familie über die Kriegszeiten und den Erinnerungen aus einem Besuch des Konzentrationslagers Sachsenhausen.

Mit dem Haustürschlüssel kratzt sie den Aufkleber ab und beginnt damit ihre langjährige Mission. Die Entfernung des Aufklebers ist für Irmela eine Befreiung und eine Reinigung von Vergangenem, die sie erfüllt und den Grundstein für ihr Engagement in den folgenden Jahrzehnten legt. Von Anfang an ist ihr klar: Auf Worte müssen Taten folgen. «Der Grund meines Tuns ist, dass ich die Gleichgültigkeit um mich herum nicht ertragen kann. Ich sehe Grundrechte und auch die Demokratie in Gefahr.»

Das Porträt zeigt Irmela Mensah-Schramm, eine ältere Frau mit weißem Haar und einer Brille. Sie trägt ein dunkelgrünes Oberteil und eine Perlenkette um den Hals. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst und entschlossen, was ihre engagierte Haltung gegen Rechtsextremismus widerspiegelt. Der Hintergrund ist neutral und lenkt die Aufmerksamkeit auf ihr Gesicht, das von weichem Licht beleuchtet wird.

Irmela Mensah-Schramm, porträtiert in ihrem Wohnzimmer


Der Grund meines Tuns ist, dass ich die Gleichgültigkeit um mich herum nicht ertragen kann. Ich sehe Grundrechte und auch die Demokratie in Gefahr.

Seit fast vier Jahrzehnten streift Irmela Mensah-Schramm nun schon durch deutsche Städte – auf ihrer Mission, neonazistische Aufkleber und Graffiti zu entfernen oder zu übersprühen. Ausgerüstet ist sie mit einem Ofenschaber, Sprühfarbe und Nagellackentferner, die sie stets in einem Jutebeutel bei sich trägt. Diese Werkzeuge wurden schon mehrfach von der Polizei konfisziert. Ihre Arbeit wird von den Menschen unterschiedlich wahrgenommen. Während einige sie als Heldin und «Queen of Zivilcourage» ansehen, begegnen ihr andere Menschen mit Drohungen und sogar körperlichen Angriffen.

1996 erhält Irmela Mensah-Schramm die Bundesverdienstmedaille. Diese Auszeichnung gibt sie jedoch im Jahr 2000 zurück, nachdem sie erfahren hat, dass dem ehemaligen NPD- und späteren CDU-Politiker Heinz Eckhoff ebenfalls das Bundesverdienstkreuz verliehen worden ist – Eckhoff ist im Dritten Reich Mitglied der SS gewesen.

Die Reste von zwei der ersten entfernten Sticker sind immer noch an einem Straßenschild in unmittelbarer Nähe von Mensah-Schramms Wohnung erkennbar.

Die Reste von zwei der ersten entfernten Sticker sind immer noch an einem Straßenschild in unmittelbarer Nähe von Mensah-Schramms Wohnung erkennbar.


Der Begriff ‹Meinungsfreiheit› wird geschickt umgangen. Natürlich werden Themen aufgegriffen und den Situationen angepasst: Kriege und Konflikte zu Russland/Ukraine, Israel/Gaza, Maßnahmen der Politik zu Agrardiesel, Energie-Fragen und immer wieder Flüchtlingspolitik.

Eine Nahaufnahme zeigt eine Hand, die dabei ist, einen Aufkleber von einem roten Schild abzuziehen. Der Aufkleber scheint rechtsextreme Inhalte zu haben und wird vorsichtig entfernt. Der Hintergrund des Schildes enthält Text, der teilweise sichtbar ist. Die Person trägt eine dunkelblaue Jacke. Rechts im Bild ist eine blaue Graffiti-Schrift zu sehen. Die Szene vermittelt ein Gefühl von Aktivismus und Engagement gegen Hassbotschaften.

Durch ihre Jahrzehnte lange Erfahrung erkennt die Aktivistin verschiedene Auflagen und Änderungen der Sticker.

Irmela Mensah-Schramm in blauer Jacke und buntem Schal übersprüht Graffiti an einer Wand und lächelt. Sie trägt eine Tasche mit der handgeschriebenen Botschaft "AfD muss weg".

Frau Mensah-Schramm übersprüht einen NPD Schriftzug mit Herzen.

In ihrer Dachgeschosswohnung reihen sich 130 Ordner aneinander, gefüllt mit Stickern und Fotos von Graffitis. Zusätzlich gibt es Kisten, in denen sie rechte Plakate aufbewahrt. Einen Teil ihres Archivs lagert Irmela Mensah-Schramm in ihrem Schlafzimmer. Auf einer selbst angefertigten Karte sind fast alle seit 1986 besuchten Aktionsorte verzeichnet. An der Wand hängt eine Deutschlandkarte, auf der sie mit roten Punkten markiert hat, wo sie bereits überall rechte Propaganda entfernt hat. All diese Dokumente dienen nicht nur als Beweis für ihre Taten, sondern auch als Lehrmaterial für ihre Workshops und Vorträge.

In fast 40 Jahren ihrer Tätigkeit hat Irmela Mensah-Schramm 140.000 Nazi-Parolen entfernt. Sie betrachtet dies mit Sorge als Indikator für die zunehmende Präsenz rechter Propaganda in der Gesellschaft. Einzelne Ereignisse lassen die Nazipropaganda anschwellen, etwa der Zuzug von Geflüchteten aus Syrien im Jahr 2015 oder die rassistischen Attentate in Hanau 2020. Auch nach tödlichen Attacken durch Muslime oder Ausländer verschärft sich der Hass gegen Irmela Mensah-Schramm.

«Die Hemmschwelle für solche Hassbotschaften ist gesunken», sagt Mensah-Schramm. «Auch werden die Aussagen subtiler verpackt. Manchmal so raffiniert, dass sie manche nicht durchschauen – oft nicht einmal die Behörden.»

Unerschrocken packt Irmela Mensah-Schramm ihr Instrumentarium für den nächsten Einsatz. Schon bald wird ein neues rotes Herz eine weitere Hassbotschaft überdecken.

Einen Teil ihres Archives lagert Irmela Mensah-Schramm in ihrem Schlafzimmer. Ein überfülltes Büroschrankregal, gefüllt mit schwarzen Ordnern, die mit handgeschriebenen Etiketten beschriftet sind und in Reihen gestapelt sind, daneben befinden sich verschiedene Büromaterialien und lose Papiere auf benachbarten Regalen. Einige Ordner sind teilweise auf dem Boden unter den Regalen sichtbar.

Einen Teil ihres Archives lagert Irmela Mensah-Schramm in ihrem Schlafzimmer. In den insgesamt über 130 Ordnern befinden sich nach eigenen Angaben circa 140.000 Sticker und Fotos von Graffitis.

Auf einer selbst angefertigten Karte auf der Wand sind fast alle der seit 1986 besuchten Aktionsorte zu sehen. Die Auswahl der Orte basiert auf Irmela Mensah-Schramms eigenen Erfahrungen und Hinweisen. Die Karte zeigt sie bei ihren Ausstellungen. Sonst bewahrt Mensah-Schramm sie zuhause auf.

Auf einer selbst angefertigten Karte sind fast alle der seit 1986 besuchten Aktionsorte zu sehen. Die Auswahl der Orte basiert auf Irmela Mensah-Schramms eigenen Erfahrungen und Hinweisen. Die Karte zeigt sie bei ihren Ausstellungen. Sonst bewahrt Mensah-Schramm sie zuhause auf.


Ich lache, wenn ich eine Strafanzeige bekomme, weil ich mal wieder eine Hassbotschaft, ein offenbar ewig lang öffentlich geduldetes unter Verbot stehendes Nazisymbol ‹beschädigt› habe!

Das Bild zeigt eine Dose Sprühfarbe, eine Flasche Nagellackentferner und ein Metallschaber, die auf einem weißen Tuch liegen. Die Sprühdose hat ein orangefarbenes Etikett mit schwarzem Deckel, während der Nagellackentferner in einer kleinen blauen Flasche ist.

Um Sticker und Graffitis
zu entfernen oder zu übersprühen, verwendet die Aktivistin Ofenschaber, Sprühfarbe und Nagellackentferner. Ihre Werkzeuge, die sie immer in einem Jutebeutel bei sich trägt, wurden schon mehrfach von der Polizei konfisziert. Fotografiert wurden die Werkzeuge auf ihrem Wohnzimmertisch.

Das Bild zeigt einen Ordner mit einer Klarsichthülle, die einen Brief enthält. Auf dem Dokument sind mehrere Stempel zu sehen, darunter ein Nazi-Adler mit Hakenkreuz und eine Briefmarke mit einem Leuchtturm. Der Brief ist an "Irmela" adressiert, mit teilweise sichtbarem Text.

Umschlag eines Hassbriefes,
der per Post an Irmela Mensah-Schramms Wohnadresse gesendet wurde: Hassnachrichten und tätliche Übergriffe gehören zum Alltag der Aktivistin.


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