Gesucht: Wanderschäfer (m/w/d)

Der Beruf der Wanderschäferei verschwindet langsam von den Weiden. Warum es trotzdem gute Gründe gibt, diese Arbeit nicht einfach aussterben zu lassen. Von Annica-Farina Badowski (Foto) und Anjou Vartmann (Text)

Zwei Hütehunde stehen aufmerksam im hohen Gras einer Wiese, während am rechten Bildrand der Arm eines Menschen mit einer wetterfesten Jacke und einem Holzstock sichtbar ist. Die Szene vermittelt eine Arbeitsatmosphäre in der Natur. Schwarz-weiß-Fotografie.

Im September, wenn der Morgentau die Wiesen im Osnabrücker Land überzieht, bricht Josef Uhlen zur traditionellen Herbstwanderung auf. Etwa 600 Schafe und zwei Altdeutsche Hütehunde folgen ihm durch Felder und Wälder. Diese jährliche Wanderung ist mehr als bloß der Wechsel von Weideflächen – sie ist eines der letzten Zeugnisse einer jahrhundertealten Tradition, die zunehmend verschwindet. «Das Futterangebot bestimmt den Weg der Herde», sagt Uhlen.

Mit 69 Jahren steht Uhlen vor einer ungewissen Zukunft: Es findet sich keine Person, die die Arbeit fortführen möchte. Die Wanderschäferei, einst selbstverständlicher Teil der ländlichen Kultur, kämpft ums Überleben. In Deutschland ist die Zahl der hauptberuflichen Schäfereien stark gesunken: Gab es 2010 noch mehr als 1.100 Betriebe, sind es heute nur noch etwa 930. Gründe dafür sind vielfältig: niedrige Einkommen, hoher Arbeitsaufwand und fehlende gesellschaftliche Anerkennung. Dabei leisten Schäfer einen unverzichtbaren Beitrag für Landschaftspflege und Biodiversität.

Ein älterer Mann mit Hut und langem schwarzen Mantel führt eine Herde Schafe durch hohes Gras durch einen Wald. Vor dem Mann laufen zwei Hütehunde. Schwarz-Weiß-Fotografie. Westerhausen, Melle, Mai 2024

Josef Uhlen auf Herbstwanderung mit rund 600 Schafen und zwei Altdeutschen Hütehunden. Der 69-jährige Schäfer zieht täglich weiter – immer dem Futterangebot folgend.


Das Futterangebot bestimmt den Weg der Herde.

Josef Uhlen

Seit über 40 Jahren pachten Josef und sein älterer Bruder Willi Flächen im Nemdener Bruch – eine Landschaft, die durch intensive Landwirtschaft nicht nutzbar ist, aber dank der Schafe ökologisch wertvoll bleibt. Der Betrieb ist seit 1912 in Familienhand. Während Willi den Hof und die Büroarbeit übernimmt, zieht Josef jeden Tag mit der Herde weiter. «Im Urlaub war ich das letzte Mal vor 20 Jahren», sagt er, ohne Groll. Doch ohne Nachwuchs droht auch diese nachhaltige Nutzung verloren zu gehen.

Die Wanderschäferei ist nicht nur ein Beruf, sondern ein Lebensstil im Einklang mit der Natur. Ihr Verschwinden würde nicht nur das Ende einer Tradition bedeuten, sondern auch den Verlust einer nachhaltigen Form der Landschaftspflege. Schafe tragen durch ihre Beweidung dazu bei, artenreiche Lebensräume zu erhalten, Böden vor Erosion zu schützen und die Biodiversität zu fördern.

Ein Schaf steht neben zwei großen, sackähnlichen Bündeln. Auf einem der Bündel ist ein handgeschriebenes 'K' zu sehen. Im Hintergrund ist eine Wellblechwand und einige senkrecht stehende Metallstangen zu erkennen. Der Boden ist mit Gras bedeckt. Schwarz-Weiß-Fotografie. Westerhausen, Melle, Juni 2024

Ein Schaf wartet geduldig neben der frisch verpackten Wolle. Die jährliche Schur ist fester Bestandteil des Schäferalltags.

Porträt eines Schäfers in Nahaufnahme. Der Mann trägt einen traditionellen Hut mit Zierband und Brosche sowie eine wetterfeste Jacke. Er wirkt nachdenklich und hält eine Hand leicht ans Kinn. Im Hintergrund sind eine Wiese und Bäume unscharf zu erkennen. Schwarz-weiß-Fotografie. Westerhausen, Melle, Mai 2024

Wanderschäfer Josef Uhlen: 69 Jahre alt, ein Leben im Dienst der Tiere – und bislang ohne Nachfolge.

Ein Schäfer in Arbeitskleidung mit Hut und Stock führt eine Herde Schafe über einen Feldweg, begleitet von einem Schäferhund. Im Hintergrund sind eine Wiese, Gebäude und bewaldete Hügel unter einem leicht bewölkten Himmel zu sehen. Schwarz-weiß-Fotografie. Westerhausen, Melle, Mai 2024

Täglicher Rhythmus: Mittags erreicht die Herde eine neue Weide. Am Abend wird sie mit mobilen Zäunen gesichert.


Im Urlaub war ich das letzte Mal vor 20 Jahren.

Josef Uhlen
Ein Mann mit grauem Haar, gekleidet in dunkler Arbeitskleidung, hält den Kopf eines Schafs fest, während er es schert. Das Schaf sitzt auf dem Boden, und seine Wolle wird mit einer elektrischen Schermaschine entfernt. Im Hintergrund ist eine Wellblechwand zu sehen. Schwarz-Weiß-Fotografie. Westerhausen, Melle, Juni 2024

Die Schur übernimmt ein professionelles Team, das Uhlen einmal jährlich beauftragt. Den Rest des Jahres kümmert er sich allein um die Tiere.

Ein Innenraum einer Scheune mit einer Gruppe Schafe, die hinter einem Holzgatter stehen. Im Vordergrund befinden sich zwei große Säcke, einer davon mit loser Wolle gefüllt. Die Scheune hat Wände aus Wellblech, und auf dem Boden liegt verstreut Stroh. Ein Holzbesen lehnt an den Säcken, und Stäbe oder Werkzeuge stehen an der Wand. Schwarz-weiß-Fotografie. Westerhausen, Melle, Juni 2024

Zwischen Mai und Juni kommt die dicke Wolle runter. Bis zum Winter wächst sie nach – ein natürlicher Rhythmus, der die Tiere vor Hitze und Kälte schützt.

Ein älterer Mann mit Hut liegt im hohen Gras und schaut in die Ferne. Im Hintergrund sind ein Wald und ein altes Fachwerkhaus zu sehen. Schwarz-Weiß-Fotografie. Westerhausen, Melle, Mai 2024

Mittagspause auf der Weide: Josef Uhlen bleibt meist bei der Herde – mit belegten Broten und Apfelschorle, mitten im Alltag eines aussterbenden Berufs.


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