Milchkanne trifft Mischpult

Kaum ein Ort in Polen ist so dünn besiedelt wie Podlachien. Doch während viele gehen, versuchen einige, genau hier etwas Eigenes aufzubauen – aus Überzeugung oder aus familiärer Verbundenheit.
Von Pasha Kritchko (Fotos) und Jelko Wronski (Text)

Maria reicht frisch gebackenes Hefegebäck über den Tisch. Es ist Ostersonntag, die Familie hat sich zum Frühstück versammelt. Mit am Tisch sitzt Pasha Kritchko, Fotograf und Student der internationalen Klasse in Hannover. Am Vorabend war er in ihrem abgelegenen Dorf angekommen – spät, erschöpft, aber willkommen. Das Osterfrühstück ist mehr als eine Mahlzeit: Es ist Ritual, Erinnerung, ein stilles Zeichen von Verbundenheit.


Wenige Dörfer weiter bereiten Dorotheus Fionik und seine beiden Söhne ein Frühlingsritual vor. Später wird Musik gespielt, gegessen, gesprochen. Auch Elias, der Jüngere, wird dabei sein – wenn er nicht gerade in seinem improvisierten Studio in Bielsk sitzt, um traditionelle Dialekte mit neuen Beats zu verbinden. Dass er sich das leisten kann, verdankt er seinem Nebenjob im Kebab-Laden.

Podlachien zieht sich durch den nordöstlichen Zipfel Polens, an der Grenze zu Litauen und Belarus. In der Hauptstadt Białystok leben rund 300.000 Menschen – gut ein Viertel der gesamten Bevölkerung der Woiwodschaft. Abseits davon sind große Teile der Region fast menschenleer. Kaum ein anderer Ort in Polen ist so dünn besiedelt. Unfertige Baustellen und verlassene Parkplätze erzählen von einer Region, die langsam verstummt.

Für junge Menschen bedeutet das Leben hier oft eine Entscheidung zwischen zwei Optionen: entweder bis ins hohe Alter harte Arbeit verrichten oder alles riskieren, um ihre Träume zu verfolgen. Pasha Kritchko hat Podlachien bereist und berichtet von Begegnungen mit Menschen, die trotz widriger Umstände ihren Alltag bewältigen.

Ein älterer Mann steht auf der Rasenfläche eines Hofes. Er trägt eine grüne Stoffhose, braune Lederschuhe, ein dunkelblaues Jacket, eine graue Cap und schaut nach links auf dem Bild hinaus. Im Hintergrund sind ein Huhn, ein roter Traktor und eine Scheune mit Wellblechdach zu erkennen. Baranowce, Podlachien, 2024

Nikalay ist einer der vielen Landwirte der Region. Wer in den ländlichen teilen der Region lebt und bleibt, muss oftmals bis ins hohe Alter arbeiten.

Eine Frau mittleren Alters mit blonden Haaren und einer Brille lehnt im Rahmen einer geöffneten Tür. Die Wände des Hauses, in dem sie sich befindet, sind mit lackierten Holzlatten verkleidet. Puchły, Podlachien, 2024

Maria betreibt ein kleines, ländliches Air BnB.

Auf einem zwei kleinen, aneinenadergestellten. hölzernen Kommoden stehen verschiedene Brote, Brötchen und Kuchen in geflochtenen Körben. Puchły, Podlachien, 2024

Ihren Gast hat sie mitsamt seiner Kamera zu einem traditionellen Oster-Frühstück mit ihrer Familie eingeladen.


Meine erste Nacht in Podlasie verbrachte ich in dem Dorf Puchły. Ich habe lange gezögert, da die Gegend nur schwer zu erreichen ist ohne Auto. Als ich schließlich dort ankam und die Gastgeberin, Maria, kennenlernte, bereute ich es nicht im Geringsten.

Pasha Kritchko
Es dämmert. Ein großer Baum, dessen Stamm mit einer Lichterkette mit ründlichen Birnen umwickelt ist, steht auf der Rasenfläche eines bewohnten Grundstückes. Daneben steht eine Bank. Im Hintergrund sind Bäume und ein Haus mit einem Unterstand zu sehen. Der Garten des Air Bnbs, Puchły, Podlachien, 2024

«Meine erste Nacht in Podlasie verbrachte ich in dem Dorf Puchły. Ich habe lange gezögert, da die Gegend nur schwer zu erreichen ist ohne Auto. Als ich schließlich dort ankam und die Gastgeberin, Maria, kennenlernte, bereute ich es nicht im Geringsten», erinnert sich Fotograf Pasha Kritchko.

Dorotheus Fionik, ein Mann mittleren Alters, mit grauen Haaren, sitzt an einem mit einer hellen Decke bedecktem Tisch. Er trägt ein braunes Jacket aus festem Stoff und ein mit Blumen besticktes Obtereil. Hinter ihm hängt ein längliches Gemälde. Links und rechts davon stehen Regale, die mit Büchern und Bildern gefüllt sind. Studivody, Podlachien, 2024

Dorotheus Fionik ist bekannt in dieser Region Polens. Der Landwirt ist häufig im lokalen Fernsehen zu sehen und Menschen kennen seinen Namen. Seine beiden Söhne, Elias und Maxim unterstützen ihn bei seiner Arbeit und der Vorbereitung. Er setzt sich besonders für die Erhaltung verschiedener Traditionen ein. Außerdem hat er ein kleines Museum in seinem Haus und hilft so Menschen, sich mit ihren Wurzeln zu verbinden, indem er Stücke der Vergangenheit für sie bereithält.

Podlachien, Mai 2024

Zwischen den Sprachen: Das Lied «Oreszki» ist in einem lokalen Dialekt aus Weißrussisch, Ukrainisch, Polnisch und Russisch verfasst – in lateinischer Schrift.


Ich denke, für viele ist das gemeinsame Zusammensein genauso wichtig wie die Tradition an sich.

Dorotheus Fionik, ein Mann mittleren Alters mit grauen Haaren, läuft mit seinen beiden Söhnen (links und rechts von ihm) an der Spitze einer kleinen Gruppe. Sie tragen festliche Kleidung. In der Hand hält er ein besticktes Tuch auf dem ein gerahmtes Bild liegt. Im Hintergrund sind Bäume und Häuser zu sehen. Studivody, Podlachien, 2024

Dorotheus Fionik mit seinen Söhnen Elias (links) und Maxim (rechts) bei einem traditionellen Ritual. Später teilen sie Musik und Mahlzeit im Familienkreis

Elias Fionik, ein 23 Jahre alter Mann, sitzt auf einem hölzernen Stuhl mit blauem Polster. Er trägt eine Lederjacke, hellblaue Cap, helle Hose und helle Schuhe und hat die Hände verschränkt. Dabei blickt er direkt in die Kamera. Im Hintergrund sind verschiedene Möbelstücke, des Zimmers, indem er sich befindet, zu sehen. Bielsk, Podlachien, 2024

Elias Fionik betreibt ein kleines Musikstudio in Bielsk. Er verbindet traditionelle Dialekte mit modernen Sounds, um Volksmusik zugänglicher zu machen.

Bielsk, Podlachien, 2024

Unterwegs ins Studio: Auch Agatha, eine Freundin von Elias, hat den Wunsch, Musik zu machen. Die beiden verbindet nicht nur ihr Hobby, sondern auch der Arbeitsplatz im Kebapladen.

Ein tätowierter Arm einer Frau mittleren Alters. Das Tattoo zeigt drei Symbole: Eine Hand, die ein Peace formt, eine geballte Faust und ein rot untermaltes Herz. Alle drei motive sind in sehr einfachem, wenig detaillierten Stil gestochen. Białystok, Podlachien, 2024

Alinas Tätowierung zeigt drei Symbole, die für die Vereinigung der drei politischen Oppositionszentralen bei den Wahlen 2020 in Belarus stehen. Sie identifiziert sich als Weißrussin und unterrichtet unter anderem belarussische Sprache.

Alina Wavrenyuk, eine Frau mittleren alters, mit kurzen, schwarz, grauen Haaren steht in einem Klassenzimmer mit gelben Wänden. Im Hintergrund sind ein Regal mit Büchern, verschiedene Abzeichen und ein Schaal mit belarussicher Aufschrift an der Wand befestigt. Sie trägt ein dunkelblaues Oberteil mit weißen Streifen auf Bauchhöhe. Białystok, Podlachien, 2024

Die traditionelle Sprache der Region ist Alina Wavrenyuks Fachgebiet. Die Lehrerin gibt Sprachunterricht an einer Schule in Białystok, der Hauptstadt einzigen Großstadt Podlachiens.


Die Stadt Bielsk löste in mir ein Gefühl der Leere aus. Für junge Menschen gibt es hier wenige Plätze, wo sie sich aufhalten konnten.

Ein verlassenes Auto steht an einer Hauswand. Im Hintergrund sind Kräne und ein Gebäude aus Beton zu erkennen. Bielsk, Podlachien, 2024
Kinder stehen in einer Schlange im Flur einer Schule mit weiß-grauem Wänden. Białystok, Podlachien, 2024

Im belarussischsprachigen Theaterclub von Alina Wavrenyuks treffen sich Kinder, die meist außerhalb von Belarus geboren wurden. Auch sie werden bald entscheiden müssen, ob sie traditionellen Erwartungen folgen – oder eigene Wege gehen.


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