Milchkanne trifft Mischpult
Kaum ein Ort in Polen ist so dünn besiedelt wie Podlachien. Doch während viele gehen, versuchen einige, genau hier etwas Eigenes aufzubauen – aus Überzeugung oder aus familiärer Verbundenheit.
Von Pasha Kritchko (Fotos) und Jelko Wronski (Text)

Maria reicht frisch gebackenes Hefegebäck über den Tisch. Es ist Ostersonntag, die Familie hat sich zum Frühstück versammelt. Mit am Tisch sitzt Pasha Kritchko, Fotograf und Student der internationalen Klasse in Hannover. Am Vorabend war er in ihrem abgelegenen Dorf angekommen – spät, erschöpft, aber willkommen. Das Osterfrühstück ist mehr als eine Mahlzeit: Es ist Ritual, Erinnerung, ein stilles Zeichen von Verbundenheit.
Wenige Dörfer weiter bereiten Dorotheus Fionik und seine beiden Söhne ein Frühlingsritual vor. Später wird Musik gespielt, gegessen, gesprochen. Auch Elias, der Jüngere, wird dabei sein – wenn er nicht gerade in seinem improvisierten Studio in Bielsk sitzt, um traditionelle Dialekte mit neuen Beats zu verbinden. Dass er sich das leisten kann, verdankt er seinem Nebenjob im Kebab-Laden.
Podlachien zieht sich durch den nordöstlichen Zipfel Polens, an der Grenze zu Litauen und Belarus. In der Hauptstadt Białystok leben rund 300.000 Menschen – gut ein Viertel der gesamten Bevölkerung der Woiwodschaft. Abseits davon sind große Teile der Region fast menschenleer. Kaum ein anderer Ort in Polen ist so dünn besiedelt. Unfertige Baustellen und verlassene Parkplätze erzählen von einer Region, die langsam verstummt.
Für junge Menschen bedeutet das Leben hier oft eine Entscheidung zwischen zwei Optionen: entweder bis ins hohe Alter harte Arbeit verrichten oder alles riskieren, um ihre Träume zu verfolgen. Pasha Kritchko hat Podlachien bereist und berichtet von Begegnungen mit Menschen, die trotz widriger Umstände ihren Alltag bewältigen.

Nikalay ist einer der vielen Landwirte der Region. Wer in den ländlichen teilen der Region lebt und bleibt, muss oftmals bis ins hohe Alter arbeiten.

Maria betreibt ein kleines, ländliches Air BnB.

Ihren Gast hat sie mitsamt seiner Kamera zu einem traditionellen Oster-Frühstück mit ihrer Familie eingeladen.
Meine erste Nacht in Podlasie verbrachte ich in dem Dorf Puchły. Ich habe lange gezögert, da die Gegend nur schwer zu erreichen ist ohne Auto. Als ich schließlich dort ankam und die Gastgeberin, Maria, kennenlernte, bereute ich es nicht im Geringsten.


«Meine erste Nacht in Podlasie verbrachte ich in dem Dorf Puchły. Ich habe lange gezögert, da die Gegend nur schwer zu erreichen ist ohne Auto. Als ich schließlich dort ankam und die Gastgeberin, Maria, kennenlernte, bereute ich es nicht im Geringsten», erinnert sich Fotograf Pasha Kritchko.

Dorotheus Fionik ist bekannt in dieser Region Polens. Der Landwirt ist häufig im lokalen Fernsehen zu sehen und Menschen kennen seinen Namen. Seine beiden Söhne, Elias und Maxim unterstützen ihn bei seiner Arbeit und der Vorbereitung. Er setzt sich besonders für die Erhaltung verschiedener Traditionen ein. Außerdem hat er ein kleines Museum in seinem Haus und hilft so Menschen, sich mit ihren Wurzeln zu verbinden, indem er Stücke der Vergangenheit für sie bereithält.

Zwischen den Sprachen: Das Lied «Oreszki» ist in einem lokalen Dialekt aus Weißrussisch, Ukrainisch, Polnisch und Russisch verfasst – in lateinischer Schrift.
Ich denke, für viele ist das gemeinsame Zusammensein genauso wichtig wie die Tradition an sich.

Dorotheus Fionik mit seinen Söhnen Elias (links) und Maxim (rechts) bei einem traditionellen Ritual. Später teilen sie Musik und Mahlzeit im Familienkreis

Elias Fionik betreibt ein kleines Musikstudio in Bielsk. Er verbindet traditionelle Dialekte mit modernen Sounds, um Volksmusik zugänglicher zu machen.

Unterwegs ins Studio: Auch Agatha, eine Freundin von Elias, hat den Wunsch, Musik zu machen. Die beiden verbindet nicht nur ihr Hobby, sondern auch der Arbeitsplatz im Kebapladen.

Alinas Tätowierung zeigt drei Symbole, die für die Vereinigung der drei politischen Oppositionszentralen bei den Wahlen 2020 in Belarus stehen. Sie identifiziert sich als Weißrussin und unterrichtet unter anderem belarussische Sprache.

Die traditionelle Sprache der Region ist Alina Wavrenyuks Fachgebiet. Die Lehrerin gibt Sprachunterricht an einer Schule in Białystok, der Hauptstadt einzigen Großstadt Podlachiens.
Die Stadt Bielsk löste in mir ein Gefühl der Leere aus. Für junge Menschen gibt es hier wenige Plätze, wo sie sich aufhalten konnten.


Im belarussischsprachigen Theaterclub von Alina Wavrenyuks treffen sich Kinder, die meist außerhalb von Belarus geboren wurden. Auch sie werden bald entscheiden müssen, ob sie traditionellen Erwartungen folgen – oder eigene Wege gehen.