Porträt einer Verdrängung
Lebhafte Graffitis, pulsierende Veranstaltungen – das Koch-Areal in Zürich war ein alternativer Lebensraum. Seine Räumung entfachte eine Debatte über Zusammenhalt und Gentrifizierung. Von Noemi Ehrat (Text und Fotos)
Das Koch-Areal ist rund 300.000 Quadratmeter groß und liegt im Westen Zürichs, zwischen den Stadtteilen Albisrieden und Altstetten. Bunte Graffitis zieren die Wände, Banner hängen von Gebäude herab – das Koch-Areal setzt sich deutlich ab von seiner Nachbarschaft mit ihrem Mix von Industrie, Wohnquartier und Cafés. Der Name geht auf die ursprüngliche Besitzerin Koch Wärme AG zurück, deren Gebäude lange leer standen. 2013 besetzten Menschen das Areal, bis Februar 2023 lebten zwischen 100 und 150 Personen auf dem Gelände. Rasch entwickelte sich die besetzten Gebäude zu einem Kulturtreffpunkt in der Stadt – mit Konzerten, Kino, Fahrradservice, eine Siebdruckwerkstatt.
Allerdings: Das Areal und seine Bewohner*innen waren insbesondere den bürgerlichen Parteien in der Stadt ein Dorn im Auge. 2018 kam es zu einer Abstimmung über eine Initiative, lanciert von der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Christlichdemokratische Volkspartei (CVP, unterdessen: «Die Mitte»). Die Forderung: Das im Besitz der Stadt stehende Areal sollte so schnell wie möglich verkauft werden. Denn um besetzte Häuser oder Gebiete räumen zu können, bedarf es einer Abbruch- bzw. Baubewilligung oder eines Vertrags über anderweitig, legale Nutzung. Der Stadtrat reichte ebenfalls eine Vorlage ein, allerdings mit dem Ziel, gemeinnützige Wohnungen zu errichten. Letzteres nahmen die Züricher*innen mit 72,2 Prozent an.
Im Februar 2023 wurde das Areal schließlich geräumt, um Genossenschaftswohnungen Platz zu machen. Gemäß der Immobilienentwicklerin Senn AG soll auf dem Areal «ein lebendiger Ort mit bezahlbarem Wohnen» entstehen, «mit Ateliers für kreatives Arbeiten, mit Werkstätten für produzierendes Gewerbe, mit Läden für die alltäglichen Dinge, mit erfrischender Gastronomie und bunter Kultur, dazu ein wilder, erholsamer Grünraum». Unter anderem soll ein 70-m-Hochhaus gebaut werden.
Das Areal wurde bei Minustemperaturen geräumt – das erschwerte die Suche nach neuen Wohnmöglichkeiten und Wagenplätzen. Seit der Bekanntgabe der Räumung kam es in Zürich wie auch anderswo in der Schweiz zu Besetzungen, zumindest solchen Versuchen. Die meisten wurden sofort geräumt. Allerdings sind mittlerweile zwei neue Wagenplätze entstanden, über deren Bestand stehen Verhandlungen mit der Stadt noch aus. Die Besetzenden lassen auf ihren Kanälen verlauten: «Wir sehen Rot! Wer kann es sich überhaupt noch leisten hier zu wohnen? Jetzt ist genug mit Gentrifizierungs-Scheiße!»
Aus dem Merkblatt für Hausbesetzungen der Stadt Zürich: «Die Hausbesetzung erfüllt den Tatbestand von Artikel 186 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Hausfriedensbruch)». Deshalb können die im Rahmen dieser Serie aufgenommenen Porträts der Besetzenden nur anonymisiert veröffentlicht werden, um sie nicht zu gefährden. Die so entstandenen Collagen, die Augen und Münder verdecken, sollen darauf hinweisen, wie alternative, autonome Lebensräume konsequent aus der Stadt verdrängt und kriminalisiert werden. Die dazu verwendeten Zeitungsartikel widerspiegeln das Echo der Schweizer Medienlandschaft.