Porträt einer Verdrängung

Lebhafte Graffitis, pulsierende Veranstaltungen – das Koch-Areal in Zürich war ein alternativer Lebensraum. Seine Räumung entfachte eine Debatte über Zusammenhalt und Gentrifizierung. Von Noemi Ehrat (Text und Fotos)

Das Koch-Areal ist rund 300.000 Quadratmeter groß und liegt im Westen Zürichs, zwischen den Stadtteilen Albisrieden und Altstetten. Bunte Graffitis zieren die Wände, Banner hängen von Gebäude herab – das Koch-Areal setzt sich deutlich ab von seiner Nachbarschaft mit ihrem Mix von Industrie, Wohnquartier und Cafés. Der Name geht auf die ursprüngliche Besitzerin Koch Wärme AG zurück, deren Gebäude lange leer standen. 2013 besetzten Menschen das Areal, bis Februar 2023 lebten zwischen 100 und 150 Personen auf dem Gelände. Rasch entwickelte sich die besetzten Gebäude zu einem Kulturtreffpunkt in der Stadt – mit Konzerten, Kino, Fahrradservice, eine Siebdruckwerkstatt.

Blick auf das Hauptgebäude des Kochareals von aussen. Zürich, November 2022

Kommt man von der Rautistrasse her auf das Areal zu, wähnt man sich in einem Industriegebiet. Die Besetzung ist zwischen zwei Tankstellen eingebettet und liegt direkt gegenüber von einem Autohaus. Als erstes fallen die drei Hauptgebäude auf: ein größeres ehemaliges Bürogebäude, das zu WGs umfunktioniert wurde, sowie zwei Lagerhallen, in denen sich Wohnungen wie auch Wagen befinden.

Bewohner des Kochareals, Januar 2023.

«Zürichs Hausbesetzer geniessen zu viel Beistand» aus der NZZ vom 9. November 2022

Ein mit einem Tuch abgedeckter Van steht unter einer aus Holz gebauten Hütte. Zürich, November 2022

Einige Bewohner*innen haben ihre eigenen Hütten und Häuschen konstruiert und gebaut. Andere wohnen in Wagen.

Bewohnerin des Kochareals, Januar 2023.

«Familie Fleck ist außer Haus» aus dem Tagesanzeiger vom 12. Oktober 2022

Mit Graffiti besprühte Bauzäune trennen das Areal gegen hinten ab. Zürich, November 2022 Mit Graffiti besprühte Bauzäune trennen das Areal gegen hinten ab.
Auf der grossen Halle ist immer noch der Schriftzug "Kohlen Koch Heizöl" erhalten. Auf dem Parkplatz stehen Autos und Fahrräder. Zürich, November 2022

In der noch erhaltenen Halle der «Kohlen Koch Heizöl» AG befinden sich Wohnungen und Wagenabstellplätze. Im umfunktionierten Haus gegenüber wurden Sanitäranlagen sowie ein Tauschshop für Kleidung eingerichtet.

Bewohner des Kochareals, Januar 2023

«Gesetz und Polizei schützen zu wenig vor Hausbesetzern» aus der NZZ vom 10. Juli 2020

In einer der grösseren Hallen befindet sich ein Kinosaal. Der Kino-Schriftzug ist aus Extremitäten von Schaufensterpuppen gebastelt. Zürich, Januar 2023

In einer der größeren Hallen befindet sich ein Kinosaal. Der Kino-Schriftzug ist aus Extremitäten von Schaufensterpuppen gebastelt.

Bewohner des Kochareals, Januar 2023

«Kochareal-Chaoten sollen ins Gefängnis» aus der 20Minuten vom 21. April 2016

Bau- und Wohnwägen stehen in der grossen Halle. Am Boden sind Markierungen einer Rollschuhdisko zu sehen. Von der letzten Party sind noch Spuren zu sehen: Am Boden in der Halle wurden Pfeile für eine Rollschuhdisko gemalt. Es war eine der letzten großen öffentlichen Feiern auf dem Areal. Zürich, Dezember 2022
Bewohnerin des Kochareals, Januar 2023.

«Auch Gutverdienende gehen leer aus» aus dem Tagesanzeiger vom 24. Januar 2023.

Allerdings: Das Areal und seine Bewohner*innen waren insbesondere den bürgerlichen Parteien in der Stadt ein Dorn im Auge. 2018 kam es zu einer Abstimmung über eine Initiative, lanciert von der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Christlichdemokratische Volkspartei (CVP, unterdessen: «Die Mitte»). Die Forderung: Das im Besitz der Stadt stehende Areal sollte so schnell wie möglich verkauft werden. Denn um besetzte Häuser oder Gebiete räumen zu können, bedarf es einer Abbruch- bzw. Baubewilligung oder eines Vertrags über anderweitig, legale Nutzung. Der Stadtrat reichte ebenfalls eine Vorlage ein, allerdings mit dem Ziel, gemeinnützige Wohnungen zu errichten. Letzteres nahmen die Züricher*innen mit 72,2 Prozent an.

Im Februar 2023 wurde das Areal schließlich geräumt, um Genossenschaftswohnungen Platz zu machen. Gemäß der Immobilienentwicklerin Senn AG soll auf dem Areal «ein lebendiger Ort mit bezahlbarem Wohnen» entstehen, «mit Ateliers für kreatives Arbeiten, mit Werkstätten für produzierendes Gewerbe, mit Läden für die alltäglichen Dinge, mit erfrischender Gastronomie und bunter Kultur, dazu ein wilder, erholsamer Grünraum». Unter anderem soll ein 70-m-Hochhaus gebaut werden.

Das Areal wurde bei Minustemperaturen geräumt – das erschwerte die Suche nach neuen Wohnmöglichkeiten und Wagenplätzen. Seit der Bekanntgabe der Räumung kam es in Zürich wie auch anderswo in der Schweiz zu Besetzungen, zumindest solchen Versuchen. Die meisten wurden sofort geräumt. Allerdings sind mittlerweile zwei neue Wagenplätze entstanden, über deren Bestand stehen Verhandlungen mit der Stadt noch aus. Die Besetzenden lassen auf ihren Kanälen verlauten: «Wir sehen Rot! Wer kann es sich überhaupt noch leisten hier zu wohnen? Jetzt ist genug mit Gentrifizierungs-Scheiße!»

Aus dem Merkblatt für Hausbesetzungen der Stadt Zürich: «Die Hausbesetzung erfüllt den Tatbestand von Artikel 186 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Hausfriedensbruch)». Deshalb können die im Rahmen dieser Serie aufgenommenen Porträts der Besetzenden nur anonymisiert veröffentlicht werden, um sie nicht zu gefährden. Die so entstandenen Collagen, die Augen und Münder verdecken, sollen darauf hinweisen, wie alternative, autonome Lebensräume konsequent aus der Stadt verdrängt und kriminalisiert werden. Die dazu verwendeten Zeitungsartikel widerspiegeln das Echo der Schweizer Medienlandschaft.

Eine Infowand solidarisiert sich mit Arbeiter*innen in Myanmar. Zürich, Dezember 2022

Die Besetzer*innen stehen in Kontakt mit Arbeiter*innen in Myanmar. Eine Infowand informiert Besucher*innen des Areals über die aktuelle politische Lage im südostasiatischen Land.

Auf dem WG-Block hat eine Person aus Holz eine eigene Hütte gebaut. Zürich, Dezember, 2022 Auf dem WG-Block hat eine Person aus Holz eine eigene Hütte gebaut. Ihre Lage hat schon öfters zu unruhigen Nächten geführt, da sie den Witterungsbedingungen schutzlos ausgesetzt ist.
Bewohner des Kochareals, Januar 2023.

«Merkblatt Hausbesetzungen», Sicherheitsdepartement der Stadt Zürich

Das grosse Hauptgebäude ist in der Ferne sichtbar. Im Vordergrund stehen Holzhütten und zahlreiche Anhänger. Zürich, Dezember 2022

Über die Jahre hat sich viel Material auf dem Gelände angesammelt. Für die Entsorgung im Falle einer Räumung mussten die Besetzer*innen eine Kaution von 25.000 Schweizer Franken bei der Stadt Zürich hinterlegen.

Bewohnerin des Kochareals, Januar 2023

«Hochgekocht» aus der Schweiz am Sonntag vom 9. Oktober 2016

Im Wohnzimmer einer WG stehen Stühle um einen grösseren Tisch herum. Der Raum wird von einer Lampe erhellt, im Vordergrund liegen Kinderbücher und Spielzeug auf dem Boden. Zürich, November 2022 Auch Kinder leben in der Besetzung. Gerne skaten sie auf dem Areal rum oder spielen Verstecken.

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