Alte Feinde, neue Nachbarn

Die Wölfe sind zurück und spalten die Gemüter. Können wir mit dem einstigen Feind als neuem Nachbarn leben? Von Betty Einhaus (Text), Annabel Karmelk (Fotos) und Saskia Stöhr (Videos)

Ein Jahrhundert nach seiner Ausrottung streift der Wolf wieder durch die deutschen Wälder. Nicht mehr nur eine Gestalt aus Märchen und Legenden, sondern ein Tier, das unsere Landschaften belebt und die Beziehung zwischen Mensch und Natur beeinflusst. Seit dem Jahr 2000 kehren Wölfe auf natürlichem Weg zurück, berichtet das Bundesumweltministerium. Ihre Zahl wächst stetig, besonders in Brandenburg und Niedersachsen. Doch ihre Wiederkehr bringt Herausforderungen mit sich: Konflikte mit Nutztierhalter*innen, der Bedarf an Schutzmaßnahmen und Spannungen zwischen verschiedenen Interessengruppen.

Was sagen Nutztierhalter*innen?

Wiebke Wehrs betreibt mit ihrem Mann einen Bio-Milchviehbetrieb nahe eines Wolfsreviers in Niedersachsen. Auf ihrem Hof leben Milchkühe, Schafe, Pferde und Schweine. Trotz der Nähe zum Wolf bleibt sie gelassen: «Der Wolf ist ein lösbares Problem.»

Nachdem in einem Nachbarort zwei ungeschützte Kälber gerissen wurden, entschied sich die Familie, ihre Tiere besser zu schützen. Sie installierten Elektrozäune und schafften einen Herdenschutzhund an. «Es ist kein Hexenwerk, so einen Zaun aufzustellen, und man hat auch eine Verantwortung gegenüber seinen Tieren», betont sie.


Wir haben 400 Arbeitsstunden investiert für dreieinhalb Kilometer Zaun.

Wiebke Wehrs

Holger Heese lebt nahe des Ostenholzer Moors nordwestliche von Celle. Er hält Schafe in der Nähe eines Wolfsrudels. «Anfangs war das sehr nervenaufreibend», erzählt er. Um seine Tiere zu schützen, setzte er ebenfalls auf Herdenschutzhunde. «Wir haben mit einem Rüden angefangen. Das ist viel Aufwand.» Mit der Zeit wuchs das Team auf vier Hunde an.

Die Beantragung von Fördermitteln für wolfssichere Zäune und Herdenschutzhunde gestaltet sich jedoch kompliziert und zeitaufwendig. Wiebke Wehrs berichtet von langwierigen Antragsverfahren: «Es dauerte viereinhalb Monate, bis der Antrag bearbeitet wurde. Wir haben 400 Arbeitsstunden investiert für dreieinhalb Kilometer Zaun.» Die Kosten für Futter und Pflege der Hunde tragen die Halterinnen und Halter selbst.

Keine Angst vor dem Wolf – Ein Experte beruhigt

Christian Berge, 58, begeistert sich seit seiner Kindheit für Wölfe und züchtet Wolfshunde. «Es gibt keinen Grund, vor wilden Wölfen Angst zu haben», versichert er. Junge Wölfe seien neugierig und könnten stehen bleiben und beobachten. «Mein Tipp: ruhig bleiben, gelassen sein.»

Er engagiert sich im Wolfsschutz und hält Vorträge, um Vorurteile abzubauen. «Wir müssen uns wieder daran gewöhnen», meint er. «Die Wölfe waren nur 150 Jahre lang ausgerottet.» Viele Übergriffe seien vermeidbar, wenn Tiere richtig geschützt würden: «In Niedersachsen waren 88 Prozent der gerissenen Weidetiere nicht oder schlecht geschützt.»

Die wichtigsten Konfliktpunkte

• Konflikte mit Nutztierhalter*innen: Übergriffe auf Schafe und Kälber verursachen wirtschaftliche Verluste und emotionale Belastung.
• Aufwendiger Herdenschutz: Wolfssichere Zäune und Herdenschutzhunde erfordern Zeit und Geld.
• Bürokratie und Verzögerungen: Komplizierte und langsame Antragsverfahren für Fördermittel erschweren den Schutz.

• Gesellschaftliche Spannungen: Unterschiedliche Ansichten zum Wolf führen zu Konflikten zwischen Landwirtschaft und Naturschutz.
• Informationsdefizite: Unwissenheit und Ängste im Umgang mit Wölfen erhöhen den Bedarf an Aufklärung.

Quelle: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, eigene Recherchen

Mit dem Wolfsmonitor auf Spurensuche

Robert Franck auf Spurensuche: Der Wolfsmonitor und Rissgutachter durchstreift regelmäßig das Ruppiner Wald- und Seengebiet. Spuren wie Pfotenabdrücke und Losungen verraten ihm, ob ein Wolf in der Nähe war. Besonders im Schnee lassen sich die feinen Details der Wolfsspuren gut erkennen.

Durch einen Zaun fotografierte Rehe im Schnee

Neben Nutztieren wie Schafen stellt auch Dammwild eine bevorzugte Beute des Wolfes dar. Die Frage, wie wirksam Elektrozäune wirklich sind, bleibt weiterhin offen.

Robert Franck ist Wolfsmonitor in Brandenburg und kennt die Wölfe wie kaum ein anderer. «Durch unsere Arbeit verstehen wir besser, wie der Wolf lebt und wie wir Probleme vermeiden können», erklärt er. Täglich durchstreift er das Ruppiner Wald- und Seengebiet, sammelt Daten und verfolgt die Bewegungen der Tiere. «Im Winter erzählen uns die Pfotenabdrücke im Schnee ganze Geschichten.»

Mit Fotofallen und GPS-Trackern dokumentiert er die Wanderungen. «Über 90 Prozent unserer Daten stammen von Fotofallen», sagt Franck. Dieses Wissen hilft, Strategien zu entwickeln, um Konflikte zu minimieren und das Zusammenleben von Mensch und Tier zu fördern. «Anhand ausgewählter Tiere lassen sich Bewegungsmuster und Territorialverhalten genau verfolgen. So können wir Wolfsbestände kontrollieren und Nutztiere schützen.»

Doch Franck sieht auch Handlungsbedarf bei der Politik: «Die Politik hätte viel früher auf die Leute zugehen und sie mitnehmen müssen. Die Menschen im ländlichen Raum fühlen sich in Bezug auf den Wolf von der Politik verlassen. Es gibt zwar Förderprogramme, aber die sind oft zu umständlich und langsam. Manche Landwirtinnen und Landwirte bekommen nach dem dritten Riss noch keine Post.»

Robert Franck sieht im Monitoring eine Chance, Konflikte zu reduzieren. «Es ist wichtig, dass wir Wege finden, miteinander zu koexistieren.» Er betont, dass Aufklärung und Zusammenarbeit entscheidend sind, um ein Gleichgewicht zwischen Mensch und Tier zu erreichen.


Die Menschen im ländlichen Raum fühlen sich in Bezug auf den Wolf von der Politik verlassen.

Robert Franck
Ein Fach eines Bücherregals mit eingerahmten Pfotenabdrücken und einem Wolfschäde

Beweismaterial im Arbeitszimmer: In seinem Arbeitszimmer bewahrt Robert Franck Schädel und Pfotenabdrücke von Wölfen auf.


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