Stadt aus Stahl. Der Student Lasse Branding reist regelmäßig nach Bosnien, ins Land seiner Vorfahren. Im zentral gelegenen Zenica dokumentiert er die Auswirkungen des örtlichen Stahlwerks auf die Menschen der Stadt.
Text: Lasse Branding Fotos: Lasse Branding
Aufgrund der Industrie und seiner vielen Hochhäuser hat Zenica den Ruf einer grauen Arbeiterstadt. 1882 wurde unter der Herrschaft von Österreich und Ungarn die Schmalspurbahn fertiggestellt und verband das bis dahin isolierte Zenica mit dem Rest der Welt. Mit der Bahn konnten die Bewohner*innen der Stadt nun auch in die 70km entfernte Hauptstadt Sarajevo reisen. Umgeben von Hügeln und Obstbäumen stand in der zentral Bosnischen Provinz Anfang des 19. Jahhunderts nicht mehr als ein Dorf, bis 1892 das Stahlwerk «Željezara» in Zenica erbaut wurde. Unter dem von Josip Broz Titos in 1947 verkündeten Fünfjahresplan entwickelte sich Zenica als Stahl- und Kohle-Zentrum im ehemaligen Jugoslawien rasant zu einem der wichtigsten Exporteure des Landes. Das Werk wurde enorm erweitert und zu einem der größten in Europa umgebaut. Menschen aus ganz Jugoslawien kamen nach Zenica, um in der Fabrik zu arbeiten.
Nach dem Zerfall Jugoslawiens kaufte 2004 Lakshmi Mittal, einer der reichsten Männer der Welt, mit seinem Unternehmen Arcelor Mittal den größten Teil der bosnischen Stahlindustrie auf. Der Deal wurde in Zenica allgemein begrüßt – in einer von Krieg und Not verwüsteten Stadt sahen viele darin eine Chance auf Arbeit und eine Rückkehr zur Normalität. Arcelor Mittal hielt das Stahlwerk zwar in Betrieb, jedoch sorgten mangelnde Investitionen in neue Arbeitsplätze und keine Umweltschutzerneuerungen für steigenden Unmut in der Bevölkerung. Die Ambivalenz von Fluch und Segen macht das Verhältnis zwischen Fabrik und Stadt deutlich.
Einerseits hat erst die Fabrik die Stadt zu dem gemacht, was sie einst war, andererseits brachte die Fabrik auch viel Leid für die Bewohner*innen Zenicas mit sich. Heute bedeutet der Niedergang der Fabrik auch den Niedergang der Stadt.
Lasse Brandings Arbeit beschreibt den Zustand einer post-industriellen Arbeiterstadt des ehemaligen Jugoslawiens und beschäftigt sich mit der Frage, wie eine Stadt, die auf der Basis von Produktionswachstum erbaut wurde, aussieht, wenn das Wachstum schrumpft. Das sozialistische System der Arbeiterschaft sorgte für eine hohe Identifikation der Arbeiter*innen mit der Fabrik, die sie einst als «Wiege des Proletariats» beschrieben. Heute identifizieren sich nur noch wenige Einwohner*innen mit der ehemals größten Eisenhütte Europas. Und doch bleibt die untrennbare Geschichte zwischen Stadt und Fabrik, auf die wehmütig zurückgeblickt wird.