Maulkorb für queere Literatur

Die Zahl der Buchverbote in den USA ist innerhalb eines Jahres um 33 Prozent gestiegen. PEN America zeigt sich besorgt über diesen Trend. Von Charlotte Schreiber

Symbolfoto: Betty Einhaus & Shannon Benze

Leere Regale in amerikanischen Bibliotheken. Das ist keine Seltenheit mehr. Die Buchverbote in den USA steigen immer weiter an, wie der US-amerikanische Autori*nnen Verband PEN America in einer aktuellen Studie berichtet. Allein von Juli 2021 bis Juni 2022 verzeichnete er 2.532 Fälle von verbotenen Büchern. Das ist ein Anstieg von 33 Prozent gegenüber dem Vorjahr 2021/2022. Bibliothekarinnen und Lehrer*innen sahen sich gezwungen, die betroffenen Bücher entweder mit Stoffen zu verhängen oder diese ganz aus den Büchereien zu entfernen. Jene Werke behandeln LGBTQ-Thematiken oder enthalten People of Color als Protagonist*innen. So geht es auch einer öffentlichen Bücherei in der Gemeinde Jamestown Township in Michigan. Laut CBSNews darf diese Bücherei die Comicreihe «Heartstopper» von Alice Oseman nun nicht mehr anbieten. Zusätzlich verlor die Bücherei ihre öffentliche Förderung. Dafür verantwortlich ist die Bürgerbewegung «Jamestown Conservatives».

Der Streaming-Dienst Netflix veröffentliche im August die zweite Staffel der gleichnamigen Serie, in der sich zwei britische Jungen ineinander verlieben. «Wir gehen in die Vergangenheit zurück, wenn wir über Buchverbote sprechen», positionierte sich der Bücherei Chef Larry Walton. Diese Geschichte ist jedoch kein Einzelfall mehr. Gerade in ländlichen Gegenden in den USA wird vermehrt versucht, queere Inhalte aus Bibliotheken und Schulen zu entfernen. Diese Entwicklung zeigt eine aktuelle Studie von PEN America.


Gerade in ländlichen Gegenden in den USA wird vermehrt versucht, queere Inhalte aus Bibliotheken und Schulen zu entfernen.

Queere Inhalte könne man mit «Pornos in Schulen» gleichsetzen, jene Bücher enthielten «sexuell explizite», «schädliche» und «altersunangemessene» Inhalte – so empfindet zumindest der texanische Gouverneur Greg Abott und viele weitere Gleichgesinnte. Unter ihnen zahlreiche Eltern.

Nicht nur PEN zeigt sich über diese Entwicklungen besorgt. Die «Heartstopper»-Autorin Alice Oseman äußerte sich via Instagram zu diesem Thema: «Rassismus, Homophobie und Transphobie gedeihen unter dem Deckmantel der Sorge um Kinder. Das ist auch nicht nur ein Problem der USA. Wir erleben genau dieselbe Sorge hier im Vereinigten Königreich.» Auch in Ungarn darf der queere Comic nicht angeboten werden. Eine ungarische Buchhandels-kette muss mit einer Geldstrafe von 32.000€ rechnen, da sie «Heartstopper» anbietet. Dies berichtet die deutsche Presse-Agentur. In Ungarn wird Homosexualität fälschlicherweise mit Pädophilie gleichgesetzt.

Sichtbarkeit ist für heranwachsende Menschen enorm wichtig. In Büchern finden viele Kinder und Jugendliche Zufluchtsorte und Held*innen, mit denen sie sich identifizieren können. Gerade für queere Menschen ist dies besonders wichtig. Dieser Meinung ist auch der britische Autor George Lester, wie er gegenüber dem ZDF erzählt. Während seiner Jugend habe ihm eine literarische Identifikationsperson gefehlt. Für ihn veränderte sich seine Welt, nachdem er zum ersten Mal einen queeren Roman gelesen hatte. «Ich konnte in einem Buch jemanden sehen, der so war wie ich, und das bedeutete mir alles», so Lester. Denn nicht jede*r kennt eine andere queere Person und kann sich dementsprechend austauschen.

In der Inszenierung wurde ein Regal mit schwarzem Stoff abgehängt. In Ungarn müssen queere Bücher in Bibliotheken und Buchhandlungen verdeckt werden und dürfen nur an über 18 jährige herausgegeben werden. Symbolfoto: Tim Kirchhof

In Ungarn müssen queere Bücher in Bibliotheken und Buchhandlungen verdeckt werden. Unser Fotograf hat das in einer Bibliothek in Hannover nachgestellt.

Queere Bücher können helfen, sich und die eigene Sexualität besser kennenzulernen und zu akzeptieren. Denn man fühlt sich weniger alleine, wenn man von Personen liest, die ähnliche Erfahrungen teilen. Wo Menschen sich ungerecht behandelt fühlen, wehren sie sich auch dagegen. In einer Kleinstadt in Pennsylvania gibt es nun den «Banned Book Club». Gründer*innen und Mitglieder sind Jugendliche. Alle zwei Wochen lesen und diskutieren sie gemeinsam genau jene Literatur, die verboten werden soll. «Es ist beängstigend zu wissen, dass all diese Menschen, die diese Bücher aus einem bestimmten Grund brauchen, keinen Zugang dazu haben», sagt die 14-jährige Joselyn Diffenbaugh gegenüber der britischen Zeitung The Guardian.

Sie ist die Gründerin des Clubs. Auch in anderen betroffenen Schulen schließen sich Schülerinnen zu Organisationen und Demonstrationen zusammen und kämpfen für ihre Rechte. PEN America, der New Yorker Publikumsverlag Penguin Random House und eine Gruppe von Autorinnen haben sich mit Eltern und Schüler*innen der Escambia County Schule in Florida zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist es, eine Bundesklage gegen die Buchverbote einzureichen. Denn diese Verbote gefährden die Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung sowie die Entwicklung junger Menschen.

Symbolfoto: Betty Einhaus & Shannon Benze

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