Arbeiten, Muttersein, Mensch bleiben
Dalila hat geschafft, was unmöglich schien: Studium, Job und die Erziehung ihrer vier Töchter zu vereinen. Eine besondere Stütze half ihr, immer wieder weiterzumachen. Von Deliah El-Chehade (Video) und Anna Saathoff (Text)

Alleine hätte Dalila ihr Studium nicht geschafft. Sie hätte ihre Töchter nicht alleine erziehen können und nicht die Arbeit ausüben können, die sie nun so gerne macht. Sie ist Tochter tunesischer Migranten, Mutter von vier Töchtern und mittlerweile stellvertretende Leitung einer stationären Jugendhilfe-Einrichtung für geflüchtete junge Männer. Als sie im ersten Jahr ihres Studiums mit 22 Jahren schwanger wurde, unterstützten sie ihre Eltern und Geschwister bedingungslos, wo sie nur konnten.
Aufgewachsen ist Dalila im Bremer Stadtteil Gröpelingen, einem sozialen Brennpunkt. Ihr Umfeld war stark durch die Herkunft ihrer Eltern geprägt. «Die meisten unserer Bekannten waren Arbeiter aus Tunesien. Genauso wie mein Vater waren sie auch Migranten, die zum Arbeiten nach Deutschland kamen und dann ihre Frau und Kinder nachholten», erzählt die 48-Jährige. «In unserer Gegend kannte sich jeder irgendwie. Es gab sogar einen tunesischen Club, in dem sich die Männer fast täglich trafen.»
In der Schule hatte Dalila nie Probleme, ihre Noten waren immer gut, und ihre Familie stolz auf sie. «Ich war damals nicht das typische tunesische Kind. Allein schon wegen meines Aussehens, denn ich habe blonde Haare und blaue Augen. Das gibt es in Tunesien nicht so oft.» Dalila lacht, als sie erzählt, dass eine tunesische Zeitung sogar ihr Schulzeugnis abgedruckt hatte. «Bis heute ist mir das ein bisschen unangenehm. Aber es war natürlich schön zu sehen, dass mein Umfeld stolz auf mich und meine Leistungen war.»
Nach dem Abitur begann sie zunächst eine Ausbildung, brach diese jedoch ab und entschied sich für ein Studium in Oldenburg. «Mein Studium war eigentlich total ungeplant. Ich wollte ursprünglich den altmodischen Weg gehen. Heiraten, Kinder kriegen, Hausfrau werden. Aber Studieren hat mir dann doch sehr gefallen.» Kurz darauf folgt eine ungeplante Unterbrechung: Dalila wird schwanger. Auf ihre erste Tochter folgt bald die zweite. Nach einer kurzen Pause entschließt sie sich, ihr Studium fortzusetzen.
Als meine Jüngere ein Jahr alt war, hab ich gedacht, ich muss das jetzt durchziehen, um meine Kinder zu ernähren und um ein gutes Vorbild zu sein.

Damals lebte sie noch mit ihrem ersten Ehemann zusammen. Da ihr Mann ein Geflüchteter war und wenig Deutsch sprach, übernahm sie häufig die Rolle der Übersetzerin für Dokumente und offizielle Angelegenheiten. Davon profitiert sie bis heute. «Der Schwerpunkt meines Studiengangs lag auf der Arbeit mit Geflüchteten. Viele Erfahrungen, die ich mit meinem Mann gemacht hatte, konnte ich direkt im Studium anwenden – sogar noch, nachdem wir uns bereits getrennt hatten.»
Neben dem Studium musste Dalila zahlreiche Nebenjobs übernehmen, um sich und ihre Familie finanziell über Wasser zu halten. «Auch wenn die Zeit anstrengend war, bereue ich nichts,» sagt sie rückblickend. «Ich bin mir nie zu schade zum Anpacken gewesen. Wenn es nötig war, habe ich eben auch die Klobürste in die Hand genommen.»

Kuchenessen – Dalila, ihre Brüder und zwei Freunde aus Tunesien

Dalila auf Klassenfahrt in Italien

Dalilas erste Töchter

In Deutschland fotografiert: Dalilas Vater Habib

Dalilas Mutter Hedia

Der Sommer vor Dalilas ersten Semester
Neben Lager- und Putzarbeiten hat die vierfache Mutter damals auch in einem Mädchentreff gearbeitet und eine Mädchengruppe betreut – ein deutlicher Kontrast zu ihrer heutigen Tätigkeit mit jungen Männern. Als stellvertretende Heimleitung übernimmt Dalila heute sowohl bürokratische Aufgaben als auch die Betreuung der Jugendlichen. Momentan kümmert sie sich intensiv um einen jungen Algerier, vermittelt zwischen ihm und Lehrern, Ärzten sowie Therapeuten. «Diese jungen Männer brauchen uns. Vor allem am Anfang, direkt nach ihrer Ankunft. Wir müssen ihnen Perspektiven bieten, damit sie nicht in die Drogenabhängigkeit oder Kriminalität abrutschen, was leider sehr oft der Fall ist.»
Neben Problemen wie Drogenmissbrauch, Psychosen und Gewalt müssen sie und ihre Kollegen regelmäßig mit Beleidigungen oder anderen schwierigen Situationen umgehen. Trotzdem betont Dalila die positiven Seiten ihres Jobs: «Die Jugendlichen sind voller Träume, das motiviert mich immer wieder aufs Neue.»
Ohne meine Kinder wäre mein Leben nicht so positiv verlaufen.

Vieles hätte sie in ihrem Leben nicht anders gemacht. Besonders das frühe Mutterwerden bereut Dalila keineswegs, auch wenn sie dadurch hart arbeiten musste. «Meine Töchter haben mir die Motivation gegeben, etwas zu schaffen. Ohne sie hätte ich vermutlich niemals so viel erreicht.» Dalila empfindet große Dankbarkeit: für ihre Töchter, für die offenen Türen, die sich ihr als alleinerziehende Mutter geboten haben, und vor allem für die Unterstützung ihrer Familie, insbesondere ihrer inzwischen verstorbenen Mutter. «Ohne meine Mutter hätte ich das alles nie geschafft. Danke Mama, Allah yerhamak!»
Transparenz-Hinweis der Redaktion: Die Filmemacherin ist die Tochter von Dalila