Wie meine Ideale mich in die Magersucht führten

Schon im Kindergarten war ich nicht besonders sportlich. Ich war zwar nie zu dick, wog in meinen Augen vielleicht ein paar Kilo zu viel. Aber dass ich jemals so krank werden würde, hätte ich nie gedacht. Von Anna Saathoff

Dort steht es, auf der Überweisung, die mir der Arzt gegeben hat: Anorexie, Magersucht. Ich hätte niemals gedacht, dass auch ich davon betroffen sein würde. Bis zu diesem Moment hatte ich mit Magersucht immer nur dünne, skelettähnliche Menschen verbunden – und so sah ich nicht aus. Außerdem war ich besessen von Essen. Aber dort stand es schwarz auf weiß und war somit offiziell.

Magersucht ist eine Krankheit, an der viele Jugendliche erkranken, meistens im Alter von 12 bis 14 Jahren. Mädchen und junge Frauen sind dabei stärker gefährdet als Jungen und junge Männer, so eine Studie des Robert-Koch-Instituts. Ich gehörte zur Risikogruppe.

Alles begann 2019, als ich mich entschied, mehr Sport zu machen, um abzunehmen. Ich eiferte Frauen nach, die ich im Internet sah. In meinen Augen war nicht nur ihr Körper, sondern auch ihr Leben perfekt. Ich wollte aussehen und sein wie sie, egal um welchen Preis.

Mit dem häufigen Training kamen schnelle Erfolge. Ich nahm ab und man erkannte mit der Zeit meine Muskelansätze, was mir Komplimente und Lob einbrachte.

Mit dem häufigen Training kamen schnelle Erfolge. Ich nahm ab und man erkannte mit der Zeit meine Muskelansätze, was mir Komplimente und Lob einbrachte. Mein Zielgewicht, das ich mir zuvor gesetzt hatte, erreichte ich schnell. Ich entschied, noch mehr abzunehmen. Ich begann, Mahlzeiten auszulassen und so wenige Kalorien wie möglich zu mir zu nehmen. 

Nachdem ich auch dieses Ziel erreicht hatte, wollte ich trotzdem noch weiter abnehmen, niedrigere Zahlen auf der Waage sehen. Ich lief dem Horizont hinterher, einem Ziel, das ich nicht erreichen konnte.

Daraufhin fing ich an, mich immer mehr zu isolieren und lieber ins Gym zu fahren, statt mich mit Freunden zu treffen. Ich hatte andauernd schlechte Laune, mir war kalt und meine Haare fielen büschelweise aus. Außerdem schaute ich mir Kochvideos im Internet an oder wie Leute aßen, während ich mir selbst aber nicht erlaubte zu essen. Ich hatte starke Angst davor, zuzunehmen.

Meine Familie und Freunde litten mit mir unter der Essstörung. Schließlich bekam ich nach einem Arztbesuch eine Überweisung zur Therapeutin und Ernährungsberaterin. Eine Freundin, Zoe, litt ebenfalls unter Magersucht und wir unterhielten uns viel über die Krankheit. Unsere Auslöser waren ähnlich, da wir beide viel Zeit im Internet verbrachten, wo uns gesagt wurde, wie wir auszusehen hätten.

Foto: Aaron Leithäuser

Autorin Anna Saathoff: «Meine Familie und Freunde litten mit mir unter der Essstörung.»

Mittlerweile sind wir beide gesund, doch wir wissen auch, dass die Krankheit immer ein Teil von uns bleiben wird. Wir haben zwar immer noch regelmäßig mit ungesunden Gedanken und der Wahrnehmung unserer Körper zu kämpfen, haben aber ein relativ gesundes Verhältnis zum Essen und zum Sport erreicht.

Magersucht sollte trotzdem niemals auf die leichte Schulter genommen werden, da die Sterberate bei Erkrankten fünffach höher liegt als bei Gleichaltrigen ohne Erkrankung. Jeder fünfte Todesfall ist ein Suizid. Die Wahrscheinlichkeit, sich das Leben zu nehmen, ist 18-fach höher, wie ein Artikel der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung besagt. Doch Besserung ist möglich.

«Gegen diese Krankheit zu kämpfen, ist sehr anstrengend, aber wirklich mutig», meint Zoe. «Deshalb wünsche ich allen Betroffenen Durchhaltevermögen und Mut, denn Gesundsein und Freiheit ist so viel schöner als Einschränkungen, Verbote und Kontrolle.»

Die Illustration wurde generiert mit Adobe Firefly. Prompt: «Darstellung von sehr dünnen Körperteilen vor dunklem Hintergrund»