Die sanfte Kraft der Hexerei
Cathy Meyer, 25, ist eine aufstrebende Musikerin. Warum sie ausgerechnet im Hexenkult eine besondere Form von feministischer Selbstermächtigung findet, beleuchten Finn Winkler (Text) und Saskia Stöhr (Fotos).
Wenn Cathy Meyer singt, dann klingt das sanft und unprätentiös. So heißt es zumindest auf der Webseite des Kulturveranstalters, der eines ihrer Konzerte ankündigt. In ihren Videos auf YouTube spielt sie mit geflochtenen Zöpfen auf einer Akustik-Gitarre, manchmal tanzt sie aber auch mit ihren Band-Kollegen in einer Tiefgarage zu eher rockigen Klängen. Cathy Meyer ist 25 Jahre alt und man könnte sie für eine ganz normale junge Musikerin halten. Aber Cathy ist eine Hexe. Oder zumindest identifiziert sie sich als solche.
Das begann bereits in Cathys Meyers Kindheit. Ihre Mutter Christina las ihr häufig aus Büchern über Hexen vor und gab ihr den Kosenamen «kleine Hexe». Als Cathy in die vierte Klasse ging, schenkte Christina ihr einen eigenen kleinen Pentagramm-Anhänger. «Es war eine Art Initiationsritual», erinnert sich Cathy.
Sich als Hexe zu identifizieren – was bedeutet das? Für Cathy Meyer geht es dabei um den Glauben an die Kraft der Natur. Sie möchte im Einklang mit dem Wandel der Jahreszeiten leben. Ruhen im Winter, mehr Energie im Sommer. Keine Erdbeeren im Winter. Stattdessen nur saisonales Gemüse und die Kräuter, die gerade wachsen. «Die Hexerei ist für mich ein Glaube und ein Ruhepol und etwas, was mir Ruhe und Kraft gibt. Etwas, worauf ich immer wieder zurückgreifen kann. Es hat für mich immer einen bitteren Unterton, wenn ich es mit anderen Religionen vergleiche – aber ich finde, es ist nichts anderes. Wenn man Christen oder Muslime fragen würde, käme vermutlich die gleiche Antwort.» Für Cathy ist der Glauben an ihre Hexerei etwas, wodurch sie auch im Alltag Kraft und Sicherheit findet.
Cathy Meyer ist dabei nicht alleine: «Hexen sind heute allgegenwärtig», schreibt die Schweizer Journalistin Mona Chollet in ihrem Buch «Hexen – die unbesiegte Macht der Frauen». So demonstrieren sie in den USA beispielsweise für das Recht auf Abtreibung. Für Chollet verkörpert die Hexe eine von jeglicher Dominanz und Begrenzungen befreite Frau, ein feministisches Ideal. Diese Verbindung von Hexentum und Feminismus überrascht vielleicht auf den ersten Blick. Dabei ist der Gedanke schon mehrere Jahrzehnte alt.
Bereits in den 1990ern schrieb die amerikanische Psychologin Lynda Warwick darüber, dass Frauen durch Hexentum aus feministischer Sicht profitieren könnten. Warwick argumentiert, dass die im Hexentum verehrten Göttinnen-Figuren zahlreiche für Frauen positive Eigenschaften verkörpern. Sie sieht in den Göttinnen-Figuren Symbole für Stärke, Kreativität und die Fähigkeit von Frauen, Macht auszuüben. Auch in den männlichen Counter-Parts aus dem Hexenkult sieht Warwick Beispiele für ein positives Bild maskuliner Stärke. Denn die männlichen Götter-Figuren seien beispielsweise angelehnt an den Hirschkönig oder den Grünen Mann aus dem alten Britannien. Laut Warwick verkörpern diese eine Männlichkeit, die weder Frauen unterdrückt noch einen patriarchalen Machtmissbrauch betreibt.
Doch Lynda Warwick sieht auch in der Gemeinschaft des Hexenkults ein besonders positives Umfeld für Frauen. So beschreibt sie diesen Kult als ein tolerantes Umfeld, offen für zahlreiche Lebensstile und Identitäten. Vor allem sei der Hexenkult häufig auch ein rein weibliches Umfeld, was weitere Vorteile bringt: «Ein Raum ganz für Frauen kann eine Atmosphäre schaffen, in der Überlebende männlicher Gewalt ein positives, nachhaltiges Gefühl von Spiritualität entwickeln können.» Die ausgeführten Rituale seien oft improvisiert, enthielten Elemente aus Theater, Tanz, Kunst, Poesie, Gesang. Für Warwick fördern sie außerdem die Interaktionen der Gruppenmitglieder. Warwick sieht diese Kreativität als Chance für Frauen, voneinander zu lernen und für ein gegenseitiges Wohlbefinden zu sorgen. In ihrem Artikel «Feminist Wicca» kam sie zu dem Schluss: «Die Ausübung der Magie setzt voraus, dass die Frauen eine Haltung der Ermächtigung lernen».
Deshalb können Hexenkulte für Frauen eine Quelle von positiven Emotionen sein. Cathy Meyer, die Hexe aus Hannover, praktiziert allerdings hauptsächlich für sich alleine und teilt die Hexerei hauptsächlich mit ihrer Mutter. «Sie hat mir die Hexerei als Samen mitgegeben und ich durfte daraus wachsen lassen, was ich möchte. Für mich ist das Inspiration und Freiheit zugleich.»