Eine Nummer gegen das mulmige Gefühl

Nachts allein nach Hause? Das Heimwegtelefon begleitet dich telefonisch und sorgt für ein sichereres Gefühl. Ein Selbstversuch von Pia Lotta Gruse

Symbolfoto: Annabel Karmelk und Isabel Reda

Livestandort mit Freund*innen geteilt, der Schlüssel fest in der Hand und die Musik nur leise im Hintergrund – für viele Menschen ist der Nachhauseweg nach einem langen Abend oft von einem Gefühl der Unsicherheit geprägt. Dunkle Straßen, verlassene Parks und die Ungewissheit, welche Begegnungen uns erwarten, können schnell zu Ängsten führen. Diese Sorgen sind besonders nachts ausgeprägt, wenn die Umgebung still und leer erscheint. Aber es gibt Hilfe: Der Heimwegtelefon e.V. bietet wertvolle Unterstützung für alle, die sich auf ihrem Weg nach Hause unsicher fühlen. 

Doch verbessert sich das Wohlbefinden auf dem Nachhauseweg tatsächlich durch das Heimwegtelefon? Ich habe es getestet: Oft bin ich abends von der Limmerstraße in Hannover nach Hause gelaufen, da kein geeigneter Bus mehr fuhr und dieser Weg der schnellste war. Jedes Mal begleitete mich ein mulmiges Gefühl, und ich war sehr froh, unversehrt nach Hause zu kommen. 


Als ich die Nummer des Heimwegtelefons wählte, spürte ich ein leichtes Kribbeln der Nervosität.

Pia Lotta Gruse

Als ich die Nummer des Heimwegtelefons wählte, spürte ich ein leichtes Kribbeln der Nervosität. Nach dem Wählen kam es zunächst zu einer kurzen Wartezeit, in der mir das Konzept des Heimwegtelefons noch einmal erklärt wurde. Die Stimme am anderen Ende war freundlich und beruhigend. Schließlich wurde ich mit einer Telefonistin verbunden, die sich mir vorstellte. Ich nannte meinen vollständigen Namen, meinen aktuellen Standort und mein Ziel; die Angabe meines Alters war optional. 

Während sie meine Informationen eingab, erklärte ich, dass ich den Gang durch den Park gehen würde, der nachts oft einsam wirkt. Die Telefonistin bat mich, regelmäßig Updates zu geben, wo ich mich befinde. «Sag mir Bescheid, wenn du über die Brücke gehst», ermunterte sie mich. 

Symbolfoto: Annabel Karmelk und Isabel Reda

In den folgenden Minuten entwickelten wir ein lockeres Gespräch. Ich erzählte von meinem Leben in Hannover, und je mehr wir plauderten, desto mehr verflogen meine negativen Gedanken. Es fühlte sich nicht mehr an, als spräche ich mit einer Fremden – wir waren mitten in einem vertrauten Austausch. Die dunklen Ecken des Parks, die sonst so bedrückend wirken, traten in den Hintergrund, und selbst die wenigen Passant*innen, die ich traf, strahlten weniger Bedrohung aus. Ich fühlte mich sicherer, denn da war jemand, der mir aufmerksam folgte, jemand, der im Notfall helfen konnte. 

Die Ängste, die in den Telefonaten geäußert werden, sind sehr unterschiedlich und individuell. Häufig hängen sie mit unangenehmen Blicken, Kommentaren, ungewolltem Kontakt sowie verbalen und körperlichen Bedrohungen durch Einzelpersonen oder Gruppen zusammen.

BKA-Studie: Deutliche Unterschiede bei nächtlicher Unsicherheit

Eine BKA-Studie zum Thema «Sicherheit und Kriminalität in Deutschland» für das Jahr 2020 belegt, dass viele Menschen das Gefühl teilen, sich nachts unsicher zu fühlen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich etwa 39% der Frauen nachts ohne Begleitung in Wohngegenden unsicher fühlen, während es bei Männern 17% sind. Im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) sinkt das Sicherheitsgefühl weiter: 67% der Frauen und 40% der Männer fühlen sich nachts ohne Begleitung im ÖPNV unsicher.

Neben der telefonischen Begleitung liegt ein weiterer Fokus darauf, das Selbstvertrauen der Anrufenden zu stärken, sodass sie selbstbestimmt unterwegs sein können, ohne auf Fremdhilfe angewiesen zu sein. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass das Heimwegtelefon alle Personengruppen anspricht. So nutzen neben Frauen auch Männer das Angebot. Dennoch zeigt sich ein höheres Aufkommen bei weiblich gelesenen Personen: Im Jahr 2023 waren unter den rund 4000 Anrufer*innen etwa 81% Frauen, 16% Männer und 3% divers.

Die Telefonist*innen, die das Angebot zuverlässig ermöglichen, müssen eine mehrmonatige Ausbildung absolvieren. Das Team umfasst rund 60 aktive Mitarbeitende und setzt sich aus einer bunten Mischung von Menschen zusammen, die von 18 bis ins Rentenalter reichen. Trotz der unterschiedlichen Hintergründe herrscht ein starkes Gemeinschaftsgefühl, und alle Mitarbeitenden schöpfen große Erfüllung aus ihrem Ehrenamt. 

Wer sich beim Heimwegtelefon engagieren möchte, muss einige Voraussetzungen erfüllen: Dazu gehören ein Mindestalter von 18 Jahren, eine stabile Internetverbindung sowie ein Telefon und Headset. Zudem sind ausgeprägte Sozialkompetenz, Offenheit gegenüber neuen Gesprächsthemen, langes wach bleiben und die Fähigkeit, in brenzligen Situationen Ruhe zu bewahren, unerlässlich. 

Wer hilft nachts – und was hilft gegen die Angst?

Die bundesweite Hotline des Heimwegtelefons ist an 365 Tagen im Jahr erreichbar und bietet eine schnelle, unkomplizierte und barrierearme Möglichkeit, sicher nach Hause zu kommen. Ehrenamtliche Telefonist*innen nehmen die Anrufe entgegen, verfolgen aufmerksam die Route der Anrufenden und bleiben am Telefon, bis sie sicher angekommen sind.

Das Heimwegtelefon existiert seit über zehn Jahren und wurde von zwei Frauen gegründet, die die Erfahrung gemacht haben, dass man sich abends sicherer fühlt, wenn man mit Freund*innen oder Familienmitgliedern telefoniert. Doch nicht immer sind diese Menschen erreichbar, was zur Gründung des Heimwegtelefons führte. Die deutsche Hotline ist seit Ende Dezember 2013 erreichbar. Ursprünglich auf Berlin beschränkt und nur am Wochenende verfügbar, wurde das Angebot im Laufe der Jahre kontinuierlich erweitert. 


Heimwegtelefon: 030/12074182

Sonntag – Donnerstag: 21 – 24 Uhr, Freitag & Samstag 21 – 03 Uhr


Empfehlungen aus dem Magazin: