Die stille Sprache
Taub, aber nicht stumm: Gehörlose Menschen müssen täglich mit einer lauten Welt klarkommen, in der Menschen selten versuchen, ihre Sprache zu lernen und zu verstehen. Doch warum ist die Gebärdensprache wichtig und wie genau funktioniert sie? Von Leonie Dulle
Foto: Antonia Teichert, Marius Zweifel und Tetyana Chernyavska
Seit es Sprachen gibt, wird auch gebärdet. Früher haben nicht nur Taube Gebärden genutzt, um zu kommunizieren, sondern auch Mönche. So gründete der geistliche Abbé de l‘Epée im 18. Jahrhundert die erste Schule für Gehörlose in Frankreich, an der die Gebärdensprache gelehrt wurde. Deutschland folgte kurz darauf mit einer ähnlichen Einrichtung. Im Verlauf der Industriellen Revolution wurde die Sprache jedoch reduziert, da die Gesellschaft davon ausging, dass Gehörlose nicht die gleiche Arbeit erledigen können wie hörende Personen. In der Folge wurde die Gebärdensprache diskriminiert. Erst in den 1980er Jahren trug Sigmund Prillwitz – ein Sprachwissenschaftler und „Erfinder“ der deutschen Gebärdensprache (DGS) – dazu bei, das Gebärden als normaler zu betrachten. 2002 war es dann endlich soweit: Die DGS wurde gesetzlich anerkannt.
Wie funktioniert Gebärden?
Die Gebärdensprache wird insbesondere von nicht- und schwerhörenden Menschen benutzt. Dabei handelt es sich um eine natürliche Sprache und ist für viele auch die Muttersprache. Obwohl nur rund 83.000 Menschen in Deutschland gehörlos sind, wird DGS laut Landschaftsverband Westfalen-Lippe von knapp 250.000 Menschen genutzt. Dabei benutzten nicht nur Gehörlose Gebärdensprache, sondern auch schwerhörige Menschen, Dolmetscher oder Angehörige.
Damit jede gehörlose Person andere problemlos verstehen kann, ist es wichtig, sein Gegenüber gut sehen zu können. Gebärdet wird nicht nur mit den Händen, auch die Mimik und das Mundbild sind laut Gebärdensprachdolmetscherin Christina Weide ein wichtiger Bestandteil der Sprache. „So können Emotionen in allen Ausprägungen und sogar Ironie zum Ausdruck gebracht werden“, erklärt die Dolmetscherin.
Das Fingeralphabet hilft, verschiedenste Namen und unbekannte Wörter zu buchstabieren und ist fest in der Gebärdensprache verankert. Dabei wird unter anderem am Anfang einer Rede der Name des Sprechers buchstabiert und ein wiedererkennbares Merkmal hinzugefügt. Als Beispiel nennt die Dolmetscherin ihren eigenen Namen „Weide“ und ihre dazugehörige Gebärde „Baum“. Nachdem einer Person eine Gebärde zugeordnet wird, wird im Gespräch nur noch diese genutzt. So spart man sich das ständige Buchstabieren von Namen.
Die Grammatik unterscheidet sich zur gesprochenen Sprache sehr. Denn die DGS baut die Sätze quasi verkehrt herum auf. Ein Beispiel: „Der Vogel sitzt auf dem Baum“. Der Satz lautet in DGS: „Vogel Baum sitzt auf“. Man baut sich laut Weide mit jedem Satz eine Bühne auf. So wie sich die Gebärdensprache von Staat zu Staat unterscheidet, hat jedes Bundesland in Deutschland seinen eigenen Dialekt. Man könne es sich vorstellen wie Bayrisch oder Sächsisch, erklärt Weide. Einige Gebärden seien anders. Das passiere besonders oft bei abstrakten Wörtern wie den Wochentagen. Diese haben zum Beispiel drei verschiedene Gebärden in ganz Deutschland. „Besonders in Bayern und Hamburg ist die Gebärdensprache anders als beispielsweise in Ostwestfalen-Lippe“, erklärt die Dolmetscherin. Trotzdem kann man sich ohne größere Probleme im ganzen Land verständigen.
Wo wird die Gebärdensprache angeboten?
Damit Gehörlose auch Spaß an Fernsehsendungen haben, gibt es die Option, Sendungen mit einem Dolmetscher zu gucken, der zeitgleich das Gesagte in DGS übersetzt. Dabei kann man sich das Finale vom Eurovision Song Contest, verschiedene Märchen und vieles mehr angucken.
Untertitel dagegen bringen tauben Menschen laut der Bundesfachstelle Barrierefrei nicht viel. Da die Grammatik der DGS so unterschiedlich zur deutschen Lautsprache ist, ist die geschriebene Sprache wie eine Fremdsprache. Das heißt, dass Gehörlose erst die Lautsprache lernen müssen, um mit den Untertiteln klarzukommen. Selbst dann enthalten Untertitel nicht den ganzen Inhalt und sind lückenhaft. Weide ist der Meinung, DGS solle auch in Schulen als Sprache angeboten werden, um den tauben Menschen den Alltag zu erleichtern. Falls das Interesse besteht, DGS selbst zu lernen, kann man dies an vielen verschiedenen Volkshochschulen machen. Auch können Interessenten sich eigenständig im Internet schlaumachen und sich die Sprache selber beibringen.