Die Last der Blicke

Erfahrungen einer Burkini-Trägerin im Schwimmbad.
Von Bahriye Tatli (Fotos) und Mayla Lüst (Text)

Die Blicke der anderen machten sie selbst zur Anderen. Bahriye Tatli trägt zum Schwimmen einen Burkini. Das machte den Schwimmunterricht in der Schule zu einer leidvollen Erfahrung: «Kaum trat ich vom Duschbereich in den kühlen Schwimmbereich, spürte ich die Blicke an mir kleben. Die ersten zwei Male habe ich das Ganze mitgemacht und so getan, als würden mir die Blicke nichts ausmachen. Den Rest des Halbjahres hatte ich meine Periode.»

Nicht nur die Blicke gaben ihr das Gefühl, ausgeschlossen zu werden, auch die Hausregeln mancher Schwimmbäder in Hannover verboten ihr damals das Schwimmen im Burkini. «Es ist ironisch, weil du voll bekleidet bist, aber dich durch die Blicke der Menschen entblößt und nackt fühlst», so Bahriye. Dabei betont der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) die Bedeutung des Sports für die Integration. Der Burkini könne muslimischen Frauen mehr Partizipation in sportlichen, beruflichen und schulischen Bereichen ermöglichen.


Kaum trete ich vom Duschbereich in den kühlen Schwimmbereich spüre ich die Blicke an mir kleben.

In Deutschland gibt es kein generelles Burkini-Verbot. Einzelne Schwimmbäder und Kommunen haben jedoch unterschiedliche Regelungen. Einige Schwimmbäder begründen Einschränkungen oder Verbote mit hygienischen Aspekten und dem Gesundheitsschutz der übrigen Badegäste. Es wird argumentiert, dass das Badepersonal bei vollständig bekleideten Badegästen keine Möglichkeit habe, offene Wunden oder Hautausschläge zu erkennen.

Deutsche Gerichte haben in mehreren Fällen Burkini-Verbote in Schwimmbädern kritisch beurteilt und oft aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hob 2019 im Eilverfahren ein Burkini-Verbot in den städtischen Schwimmbädern von Koblenz auf. Das Gericht entschied, dass das Verbot gegen das Gleichbehandlungsgebot der Verfassung verstößt. Es sei unklar, warum Gesundheitsbedenken nur bei Burkini-Trägerinnen eine Rolle spielen sollten, während andere körperbedeckende Schwimmkleidung wie Neoprenanzüge erlaubt waren.


Wenn eine Frau zu viel Haut zeigt ist sie eine Schlampe, wenn sie zu viel trägt, ist sie prüde oder eine Terroristin.

Bahriye ist mittlerweile 22 und studiert Visual Journalism and Documentary Photography. Ihre Erfahrungen aus dem Schwimmunterricht verarbeitet sie mit inszenierten Selbstporträts. In ihrem Projekt «Handle Me Carefully» thematisiert die Fotografin den Kampf um Selbstbestimmung. Die Bilder zeigen die Person, die Bahriye gerne im Schwimmbad gewesen wäre, aber nicht sein konnte. Auf die Frage, ob und wie Frauen heutzutage noch in stereotypen Rollenbildern gefangen sind, antwortet sie, dass keine Körper so extrem bewertet würden wie die von Frauen. «Wenn eine Frau zu viel Haut zeigt, ist sie eine Schlampe, wenn sie zu viel trägt, ist sie prüde oder eine Terroristin.»

Ihre Polaroid-Aufnahmen aus dem Schwimmbad verarbeitete sie mit einem speziellen Verfahren. Die Emulsion des Polaroids löste sie dabei vom originalen Trägermaterial. Die Fotografien wirken dadurch beweglich und flüchtig, wie ein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche. «Sie haben die Struktur des Wassers adaptiert», so die Fotografin. Dieser letzte Teil des künstlerischen Prozesses war für sie besonders emotional: «Ich musste so vorsichtig und zärtlich mit dem Farbfilm des Polaroids umgehen, also quasi mit den Bildern von mir, meinem Körper. Das half mir, meine Erfahrungen aus dem Schwimmunterricht zu reflektieren.»

«Mit den Bildern von mir musste ich sehr vorsichtig umgehen.»

Bahriye Tatli über ihr Fotoprojekt