Neue Ufer

Floating Islands wie die «Zukunst» in Hannover verbinden Kunst und Ökologie, schaffen nachhaltige Lösungen und Freiräume. Das Konzept erregt weltweit immer mehr Aufmerksamkeit. Von Carlotta Steinkamp (Text) und Tim Kirchhof (Fotos)

Das Eis unterm Kiel knackt leise, während die «Zukunst» sich tuckernd der Leineabstiegsschleuse in Hannover nähert. Schon bald endet die erste Etappe der Fahrt in Richtung Winterhafen. Es ist die letzte Fahrt der Saison, bevor das Boot im Misburger Hafen überwintert und im nächsten Frühjahr die neue Saison beginnt.

Doch die Zukunst ist mehr als nur ein Boot. Sie ist sowohl eine schwimmende Insel, als auch ein kultureller Freiraum auf der Ihme. Joy Lohmann, der Künstler hinter dem Projekt, erschafft seit der Expo2000 in Hannover Inseln auf dem Wasser und experimentiert mit deren Nutzungsmöglichkeiten. So entstanden bereits zahlreiche lokale und internationale Inselprojekte, beispielsweise in Berlin und Ferropolis, aber auch im indischen Goa und Thailand. 

Die Zukunst schwimmt auf zwei langen Metalltonnen, die Joy Lohmann 2022 in Berlin zusammenschweißte. Kurz danach begann bereits das erste Abenteuer: Mit einem Wohnwagen auf dem leeren Floß ging es für ihn und seinen Kollegen Andre Zingler von Fluss zu Fluss nach Hannover. Dort angekommen, folgte die Bebauung des Schiffes, unterstützt von einer Gemeinschaft aus Naturwissenschaftler*innen, Künstler*innen, Musiker*innen und vielen weiteren «Creators», die gemeinsam die schwimmende Insel gestalten. Seitdem hat sich eine offene Gemeinschaft rund um die Zukunst gebildet, die auf dem Boot Zeit verbringt, es mitgestaltet, es bebaut und begrünt und Ausfahrten unternimmt. Einmal die Woche ist Open-Ship-Day, an dem Lohmann und die Zukunst-Crew Interessierte und Passant*innen dazu einladen, auf das Schiff zu kommen, einen Kaffee zu trinken und sich auszutauschen. Die Zukunst ist also auch ein Ort der sozialen Zusammenkunft.

Entstanden ist das Projekt aus der Initiative «Makers for Humanity», die mit temporären und interdisziplinären Teams sogenannte Floating Islands für Kultur, Bildung, Ökologie und soziale Innovation auf verschiedenen Gewässern weltweit baut.

Neben der Zukunst gibt es in Hannover auch begrünte Schwimminseln, auf denen der Anbau von Pflanzen ausprobiert wird. Die Umwelt ist dabei immer ein zentraler Aspekt, so auch die grundlegende Idee: Wer das Gewässer kennt und schätzt, ist auch bereit, es zu schützen. Joy Lohmanns Inselprojekte sind immer auch eine Einladung, etwas Schönes im oder am Gewässer zu erleben.

Über die lokale Gemeinschaft hinaus schafft die Zukunst auch internationale Verbindungen. Bei einer digitalen Inselbaukonferenz tauschten sich im November 2023 Inselbauer*innen aus Deutschland, Brasilien und Singapur aus, um gemeinsam Lösungen für lokale Herausforderungen zu diskutieren.

Auf einem ruhigen Fluss, umsäumt von grünen Bäumen ist ein Hausboot zu sehen, das in Richtung des Betrachtenden schwimmt. Im Hintergrund ragt das hannoveraner Hochhaus Ihmezentrum empor.

Die Zukunst startet von ihrem Anleger in Linden-Nord.

Ein älterer Mann mit kurzem weißen Bart, einer Brille und einem Hut sitzt in sommerlicher Kleidung auf einer Bank vor verschiedenen bäulichen Bildern und hält eine Zigarette in der Hand. Er lächelt und schaut rechts aus dem Bild heraus.

Joy Lohmann, Künstler und Initiator des Projekts.

Mehrere Personen sitzen in einer Runde auf Camping-Stühlen auf der überdachten Terasse eines Hausbootes. Im Hintergrund erkennt man den Fluss, das Ufer mit Bäumen und einer Wiese, sowie Teile des hannoveraner Hochhauses Ihmezentrum.

Die Besucher*innen der VIP-Ausfahrt genießen die Aussicht auf der Ihme.

Zwei Personen, die unscharf im Vordergrund zu sehen sind, unterhalten sich. Im Hintergrund scharf zu erkennen: Eine Brücke über dem Fluss, auf dem Personen stehen und in Richtung der Kamera blicken.

Die Zukunst fällt vielen Schaulustigen auf.

Floating Islands als Antwort auf den Klimawandel

«Erst waren es schwimmende Kunstwerke, dann ein schwimmender Garten und schließlich entstand bei den Maker-Camps unseres Vereins das modulare System – Inseln, die potentiell erweiterbar sind», erläutert Joy Lohmann. «Einige der Inseln schwimmen heute noch, andere sind abgebaut. Die, die noch schwimmen, sind hauptsächlich Garteninseln und Inseln zur Gewässerreinigung in Bangalore.»

Bangalore, bekannt als die Stadt der Seen, kämpft mit stark verunreinigten Gewässern, die Brutstätten für Malaria und andere Krankheiten sind. Lohmanns Ansatz vor Ort hatte zwei Ziele: eine organische Gewässerreinigung der Seen durch Pflanzen und Algen sowie Kulturveranstaltungen auf den bepflanzten Inseln, damit die Menschen eine Beziehung zu den lokalen Gewässern aufbauen. «Dieser Effekt ist schwer messbar, aber er funktioniert: Menschen werden achtsamer, entschleunigen sich, werden zuverlässiger und auch sozialer. Wasserschutz wird durch diese Projekte ein Thema, das in den Köpfen präsent ist, auch politisch.»

Weltweit gibt es zahlreiche Möglichkeiten, das Potenzial von Schwimminseln zu nutzen. Ein Beispiel dafür gibt der Brite Richart Sowa, der an der Westküste Mexikos auf einem Fundament aus Plastikflaschen die international bekannte «Spiral Island» baute. Zwar zerstörten Stürme und Fluten die Konstruktionen mehrfach, doch Sowa baute die Insel jedesmal wieder auf. Heute beherbergt sie ein mehrstöckiges Haus sowie einen Mangrovenwald. Initiator Sowa verbessert und erweitert seine Insel ständig, wobei Freiwilligen ihn unterstützen.

Auf der anderen Seite der Erdkugel, in Bangladesh, haben ehemalige Reisfarmer schwimmende Gemüsegärten aus zusammengebundenen Hyazinthen errichtet, da die traditionellen Reisfelder aufgrund des steigenden Meeresspiegels und des Salzwassereinbruchs nicht mehr bewirtschaftet werden können. Die schwimmenden Gärten sind dort nicht nur eine Anpassung an die Folgen des Klimawandels, sondern auch eine wirtschaftliche Chance für die Bevölkerung.

Lohmann betont: «Die Floating Islands sind sowohl eine Möglichkeit, aktiv etwas gegen den Klimawandel zu tun oder ihn zumindest regional einzudämmen, als auch eine Art der Reaktion auf seine Folgen. Den Klimawandel aufzuhalten, können die Inseln allein natürlich nicht gewährleisten, aber sie könnten ihn sowohl verlangsamen als auch Bewältigungsstrategien bieten.»

Die Zukunst in Hannover ist ein Beispiel dafür, wie lokale Initiativen globale Bedeutung erlangen können. Sie bietet nicht nur einen Ort der sozialen Zusammenkunft und kulturellen Bereicherung, sondern schafft Bewusstsein für den Schutz unserer Gewässer. Die Zukunft muss Spaß machen, sagt Lohmann, denn nur so lässt sich Begeisterung und Engagement für nachhaltige Projekte wecken.

Die schwimmende Weihnachtsfeier der Zukunst endet mit einem Abschlusskonzert im Vereinsheim des Sportbootclubs am Misburger Hafen. Die Crew wird nicht nur von helfenden Händen, sondern auch vom Geruch von Glühwein und Bratwurst empfangen. Auch die Musik der Ton, Steine, Scherben-Sängerin Birte Volta verbindet die Menschen, und so stimmen alle in einen Chor ein, bereit für die nächste Saison.

Im abendlichen Halbdunkel sieht man ein von innen in gelbem Licht erleuchtetes Hausboot einen Fluss entlang fahren.

Auf der Zukunst herrscht gute Stimmung während der abendlichen Ausfahrt.

Eine Frau (links) und ein Mann (Rechts), in der Portraitperspektive fotografiert, unterhalten sich. Die Frau, deren Gesicht erleuchtet ist, trägt eine rote Bluse und eine schwarze Mütze, sie hält einen Pappbecher in der Hand. Sie lacht und blickt nach rechts zu dem Mann, dessen Gesicht im Schatten ist, auch er lacht. Er trägt einen Hut und einen karierten Schal. Im Hintergrund sind unscharf weitere Personen zu sehen.

Birte Volta und Joy Lohmann stoßen auf die letzte Fahrt an.

In einer schneebedeckten Hafenlandschaft sieht man einen Fluss, auf dem aus dem linken unteren Bildrand ein Frachtschiff kommt. Dem Frachtschiff gegenüber schwimmt ein fast schon winzig wirkendes Hausboot. Rechts im Bild sind unscharfe, braune Blätter im Vordergrund. Im Hintergrund erkännt man zwei große Hafenkräne und ein Industriegebiet.

Neben den Kränen und Frachtschiffen wirkt die kleine Insel etwas verloren.

In einer Kneipe, dem Vereinsheim des hannoverschen Motorbootclubs e.V., sitzen mehrere Personen. Sie blicken auf eine erleuchtete Bank, auf der eine Frau mit einer Gitarre sitzt, die in ein Standmikrofon singt. Überall im Vereinsheim hängen verschiedene bunte Wimpel.

Birte Volta bei ihrem Konzert im Vereinsheim des Hannoverschen Motorbootclubs e.V.

Ein Schiffanleger in der Dunkelheit, einzig allein erleuchtet durch das Licht aus dem Hausboot, das an dem Anleger hält.

Spät am Abend legt die Zukunst zu einem Stopp an der Ihme an.