Sexarbeit in der Pandemie.  Helena Lea Manhartsberger recherchierte für ihre Bachelorarbeit in den österreichischen Rotlichtmilieus.

Coco (32), Salzburg 19.05.2021

Eigentlich möchte Helena Lea Manhartsberger für ihre Bachelorarbeit nach Chile reisen und eine Geschichte über die Proteste dort fotografieren. Aber es ist Herbst 2020, die Corona–Pandemie legt die Welt gerade zum zweiten Mal lahm. Deshalb entscheidet sie sich für ein anderes Thema: Die Situation von Sex–Arbeiter*innen während der Corona-Pandemie in ihrer Heimat Österreich.

Obwohl sie aus früheren Recherchen bereits Kontakte in die Szene hat, ist es schwierig Protagonist*innen zu finden: Sex-Arbeit ist wegen der Pandemie zu diesem Zeitpunkt illegal. Die Polizei geht mit harten Maßnahmen dagegen vor. Doch die Autorin findet schließlich erste mutige Sex-Arbeiter*innen, die ihr weiterhelfen.

Helena Lea Manhartsberger will als außenstehende Person nicht den Anspruch erheben, ein vollständiges Bild der Branche in der Pandemie zu repräsentieren. Vielmehr beschließt sie, ihre persönlichen Begegnungen mit Menschen zu dokumentieren. Die Fotografin will verhindern, dass ihre Protagonist*innen zum Schauobjekt gemacht oder sexualisiert werden. Von Anfang an ist es ihr wichtig, den Porträtierten selbst eine Stimme geben. Sie führt stundenlange Interviews und spricht intensiv darüber, wie sie dargestellt werden möchten.

Am Ende trotzt die Fotografin allen Hürden und schafft es, die Arbeit ganz knapp vor der Abgabefrist fertigzustellen: Selbst zwei Tage vor Schluss fotografiert sie noch. Inzwischen lebt Helena Lea Manhartsberger in Wien. Dort arbeitet sie als freie Fotojournalistin und gibt gemeinsam mit dem Verein ipsum Workshops über Fotografie und Mediensensibilität. Sie arbeitet für Kunden wie SPIEGEL, DIE ZEIT, F.A.Z. und BBC.

Es gibt viele visuell ästhetische Fotoprojekte, in denen Sexarbeiterinnen aber als stumme Opfer dargestellt werden.

Helena Lea Manhartsberger
Wien, 13.04.2021

«Es wird uns Sexarbeiter*innen ja immer vorgeworfen, wir würden das System auf Kosten anderer, für unser individuelles Empowerment ausnutzen und die patriarchalen Verhältnisse dadurch festigen. Ich spüre das Patriarchat ja immer. Zum Beispiel als Kellnerin, du musst die ganze Zeit scheiß alte Säcke anlächeln, damit sie dir Trinkgeld geben, und du einen okayen Lohn hast. Für mich war was Übergriffigkeit angeht Gastro viel krasser als Sexarbeit und das bei beschissenerer Bezahlung.» – Noah (24)

Wien, 11.03.2021

«Ich liebe meinen Job. Sexarbeit ist auch ein Stück Freiheit! Es gibt mir Unabhängigkeit, finanziell und auch zeitlich. Ich kann mir selbst aussuchen, wen ich wann, wo, wie ficke.

 Der erste Lockdown war das für viele Frauen ein Schock. Ich hatte Glück, ich bekam die Beihilfen und hatte plötzlich Zeit für die Familie. Es gibt Kolleginnen, die in den Lockdowns gearbeitet und sehr gut verdient haben, weil es wenig Angebot gab, die Nachfrage aber da war.» –  Nora (40)

Salzburg, 20.05.2021

«Wenn möglich, bevorzuge ich es, für Sex nicht zu bezahlen. Es gibt viele Plätze wo sich Leute zum Ficken treffen, in Parks, an Seen oder an Bahnhöfen. Jetzt nach dem Lockdown und wenn’s warm wird, wird’s sicher richtig losgehen an den ganzen Plätzen, da trifft sich alles. Beruflich hat sich für mich durch Corona kaum etwas verändert, aber sonst natürlich alles. Alle Lokale haben zu, es gibt keine Partys und auch an den öffentlichen Plätzen ist jetzt wenig los. Geil bin ich trotzdem.» – Herbert (53)

Wir Sexarbeiter*innen werden immer gefragt, ob uns das wirklich Spaß macht und ob wir es freiwillig tun. Vielleicht sollte man das auch bei anderen Jobs öfter fragen.

Noah (24)
Wien, 14.04.2021

«Bis Corona losging, arbeitete ich in einem Erotikstudio in Wien. Da ich immer Steuern bezahlt habe, habe ich auch die Corona– Nothilfen erhalten. Die Arbeitsbedingungen waren katastrophal und auch für die Männer bist du nur ein Stück Fleisch, es ist ihnen egal, wer du bist. Da arbeitest du dich ab und dann bist du nur die Hure. Beim Escort ist das anders. Da bist du eine Dame, die Kunden respektieren dich, sprechen mit dir. Ich habe das alles alleine geschafft und muss niemandem dankbar sein dafür.» –  Isabella Lui (31)

Salzburg 19.05.2021

«Als Corona kam, blieb ich in Deutschland und machte Hausbesuche. Ich habe langfristig verliebte Stammkunden und wenn ich sage, ich brauche jetzt eine Wohnung, dann freuen die sich, dass ich bei denen schlafe. Daneben hatte ich natürlich noch andere Kunden. Drei Monate war ich bei einem, das ist gut gelaufen, der hat mich dafür bezahlt, dass ich bei ihm wohne. Wie viel ich dafür bekommen habe? Genug, schreib einfach: genug.» – Coco (32)

Wien, 13.04.2021

«Frauen sind auch in diesen Zeiten vorsichtiger, durch Covid sind mir fast alle weiblichen Kundinnen weggefallen. Ich hab auch das Gefühl, dass in diesen schrägen Zeiten, die Leute mehr auf schräge Sachen stehen. Es ist einem einfach langweilig, man braucht neue Sachen, da ist es dann für viele Leute halt nice so einen Alien– Charakter zu haben, der dir den Mund zuhalten und Eier in dir ablegen will.» – Noah (24)

Wien, 26.04.2021

«Ich könnte mir momentan nicht vorstellen Sex mit Fremden zu haben und vorzuspielen, dass ich es genieße. Aber jemanden den Fuß in den Mund zu stecken, ist mir total egal. Vielleicht passt die Arbeit eh gut zu mir, ich bin es gewohnt, nur die Fantasie von Männern zu sein. Es ist wirklich schwierig Leute zu finden, die mich als Menschen sehen und sich nicht nur für meinen großen sexy afrikanischen Arsch interessieren. Bei dieser Arbeit habe ich das Gefühl die Situation in meine Hand zu nehmen und dafür Geld zu bekommen, wofür ich normalerweise nur diskriminiert werde. Ich bekomme Geld dafür, das macht mich unabhängig, das ist schon empowering.» – Nicki (21)

Wien, 14.04.2021

«Manche Männer wollen diskutieren, aber ich bin kein Hund – bei mir gibt es kein Hin und Her. Du sagst mir nicht, was du zahlen willst. Du sagst mir was du willst und ich sage dir was das kostet. Wenn dir das nicht passt, nicht mein Problem. Man kann gut Geld verdienen und auch gut was ansparen. Wer weiß was morgen kommt, vor allem in Zeiten der Krise. Man muss stark sein, Rumheulen bringt nichts, es kommt nicht plötzlich von irgendwo ein Millionär daher.» – Isabella Lui (31)

Salzburg, 20.05.2021

Jil: «Mir tun ja die Frauen leid von denen, die zu mir kommen. Ich schlage auch jeden, der über seine Frau meckert. Ich schlag ihn noch einmal extra, wenn er sagt, ‘Meine Frau ist so schlecht, blabla…’ – Ey, halt die Fresse du Wichser, drei Kinder hat sie dir gemacht. Sie putzt, sie kocht, sie kümmert sich um alles, was musst du als Frau noch? Putzen, wie ’ne Hure ficken…»
Monica: «… sterben.»
Jil: «Am besten noch Geld verdienen.»

Salzburg, 19.05.2021

«Meine Freunde haben zu meinem Job gesagt: «Wow, cool! Das will ich auch.» Ich sage dann: «Nein, willst du nicht.» Es ist zwar kein schwieriger Job, aber es ist doch sehr anstrengend.» – Patrik (23)

Graz, 24.05.2021

«Seit zehn Jahren treffe ich mich mit Männern, die das zwischen Mann und Frau suchen, das reizt sehr viele. Ich bezeichne mich einfach als Transe, das ist so ein Begriff, mit dem jeder etwas anfangen kann. Corona stresst mich nicht. Dieses Virus ist nun mal da, aber die Schutzmaßnahmen funktionieren und ich bin auch schon einmal geimpft, das war mir wichtig. Für junge Menschen ist es ja auch nicht so gefährlich, da sind Geschlechtskrankheiten sicher das größere Thema.» – Nadine Johanna (34)

Ich habe Spaß an meiner Arbeit. Mit Männern umzugehen, dafür bin ich irgendwie geboren. Ich mache den ganzen Schmarrn, weil ich mir seit zwei Jahren ein Haus baue in Ungarn, gleich bei Budapest. Wenn ich aufhöre, kann ich sagen: Das habe ich durch meine Arbeit geschafft. Ich selbst.

Coco (32)
Wien, 6.7.2021

«Meine vielleicht wichtigste Tätigkeit ist die Leitung des 24h Notruftelefons. Nur ein sehr geringer Teil der Anrufe hat mit Gewalt zu tun. Da spiegelt sich das Vertrauen in den Staat wieder, wenn die Sexarbeiter*innen in Fällen von Übergriffen eher uns anrufen als die Polizei. Ich habe mich da schon in Situationen wiedergefunden, wo ich mir dachte, da bin ich aber der ganz falsche in der Situation. Zum Beispiel hat uns einmal eine Frau angerufen, weil sie draußen beim Autohof vergewaltigt wurde. Ich bin weder Psychologe noch bei der Exekutive, aber sie wollte auf keinen Fall die Polizei dabei haben.» – Christian Knappik (62)

Salzburg, 20.05.2021

«Hier ist ja gerade alles total unsicher wegen Corona. Ich habe keine Ahnung, ob offen bleibt, wann wieder geschlossen wird. Ich habe mich nie getraut illegal zu arbeiten, weil ich solche Angst vor der Polizei habe, ich habe schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht und viele Mädchen wurden erwischt.» –  Natasha (38)