Mind the Gap

Eine ZDF-Journalistin deckt auf: Ihre männlichen Kollegen verdienen 800 Euro mehr. Was tun, damit Gleichbehandlung nicht nur Theorie bleibt?
Von Emma Jacob 

Zwei Hände reißen ein Loch in ein pinkes Papier, dahinter sind gestapelte Münzen sichtbar – symbolische Darstellung des Gender Pay Gaps und finanzieller Ungleichheit.

Foto: Salome Ziermann und Jonathan Funk

Stell dir vor, du gehst völlig ahnungslos zur Weihnachtsfeier deines Betriebs und erfährst plötzlich, dass deine männlichen Kollegen mit gleicher Position und gleicher Tätigkeit mehr verdienen als du. Genau das passierte Birte Meier, einer deutschen Investigativ-Journalistin.

Meier arbeitete seit 2007 für das politische Magazin «Frontal 21» im ZDF und war laut Deutschlandfunk für politische Hintergrundbeiträge und Wirtschaftsreportagen zuständig. 2015 entdeckte sie zufällig die Lohnlücke. Meier vermutete Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts und verklagte daraufhin das ZDF.

Ihre Klage wurde 2017 zunächst zurückgewiesen, das Landesarbeitsgericht verlangte Beweise dafür, dass der Unterschied in der Bezahlung tatsächlich mit ihrem Geschlecht zusammenhing. Ihr Arbeitgeber gab widersprüchliche Erklärungen ab – mal wurde auf die Berufserfahrung, mal auf den Studienabschluss im Journalismus verwiesen.

Im Juni 2020 gab das Bundesarbeitsgericht Meiers Auskunftsklage schließlich recht. Das ZDF räumte daraufhin ein, dass das Vergleichsgehalt ihrer männlichen Kollegen 2017 rund 800 Euro höher lag als ihr eigenes. Meier erhielt schließlich eine Nachzahlung vom Sender, obwohl dieser ihr zuvor noch 110.000 Euro angeboten hatte, damit sie «die Klappe halte», wie sie in der ZEIT berichtete. Fakt bleibt: Es existierten klare Unterschiede in der Bezahlung, und es waren am Ende die männlichen Kollegen, die mit einem höheren Gehalt nach Hause gingen.

Dabei sagt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz eindeutig: «Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen des Geschlechts zu verhindern oder zu beseitigen.» Das ist die Theorie – doch in der Realität sieht es häufig anders aus.


4,46€ brutto pro Stunde verdienten Frauen im Jahr 2023 weniger als Männer.

Jeder dritte Angestellte hat laut einer europaweiten Umfrage der Beratungs- und Prüfungsgesellschaft Ernst & Young bereits Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt, wobei oft das Geschlecht eine entscheidende Rolle spielt. Von den 1.800 befragten Arbeitnehmerinnen gaben 36 % der Frauen an, bei der Arbeit diskriminiert worden zu sein, bei den Männern waren es 31 %. Für viele Frauen bleibt Gleichberechtigung in zahlreichen Ländern bis heute eine Utopie.

Trotz Frauenquote und Gleichbehandlungsgesetz verdienen Frauen in Deutschland häufig weniger als Männer im selben Beruf – vielen Frauen ist das jedoch gar nicht bewusst.
Die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern ist ein Symptom des Patriarchats und Ausdruck einer tief verwurzelten Benachteiligung. Über Jahrhunderte wurden Frauen von Machtpositionen und Bildung ausgeschlossen und dadurch als weniger wertvoll wahrgenommen. Diese Wertvorstellungen prägen unser Denken bis heute und werden erst langsam durch Neubewertungen und Aufarbeitung alter Denkweisen verändert.

Deshalb bleibt die ungleiche Bezahlung zwischen Männern und Frauen weiter ein Thema. Der sogenannte Gender-Pay-Gap ist in nahezu jedem Land sichtbar. Dabei wird der durchschnittliche Bruttoverdienst von Frauen und Männern miteinander verglichen. Laut Statistischem Bundesamt hatte Deutschland im Jahr 2022 mit etwa 18 % den viertgrößten Gender-Pay-Gap in der Europäischen Union. Frauen verdienen hierzulande somit rund ein Fünftel weniger als Männer. Doch warum bestehen diese Lücken im 21. Jahrhundert weiterhin?

In westeuropäischen Ländern war es lange üblich, dass Männer das Haupteinkommen verdienten, während Frauen für Haushalt und Familie zuständig waren, so die Arbeitgeber*innenbewertungsplattform Kununu. Schwangerschaften und Kindererziehung führen dazu, dass Frauen ihre Erwerbstätigkeit häufiger und länger unterbrechen und öfter Teilzeit arbeiten.


Die Rentenlücke zwischen Männern und Frauen beträgt rund 60%.

Ein weiterer Grund ist, dass Frauen überwiegend die Pflege älterer Familienmitglieder übernehmen – etwa 68 % aller Pflegepersonen sind weiblich. Zusätzlich halten sich Frauen oft bei Gehaltsverhandlungen zurück. Ursache dieses «Entitlement Gap» ist laut Kununu, dass Führungspositionen häufig von Männern besetzt werden und es Frauen daher an Vorbildern und Unterstützung fehlt.

Der Lohnspiegel des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts zeigte 2020 beispielsweise, dass Filial- und Verkaufsstellenleiterinnen durchschnittlich 18 % weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Bei einer 38-Stunden-Woche und zehn Jahren Berufserfahrung erhält ein Mann durchschnittlich 3.220 Euro brutto monatlich, eine Frau nur 2.640 Euro.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes weist darauf hin, dass diese Lohnunterschiede langfristige Folgen für die Altersversorgung haben. Die Rentenlücke zwischen Männern und Frauen beträgt derzeit etwa 60 %, da viele Rentnerinnen während ihres Erwerbslebens nur wenig verdienten.

Frauen sind in vielen Bereichen nach wie vor benachteiligt. Doch die Zeit zeigt, dass diese Situation nicht unveränderlich sein muss. Der Personaldienstleister Randstad hält es für notwendig, dass Unternehmen aktiv gegen ungleiche Bezahlung vorgehen. Sie sollten ermöglichen, dass Frauen auch nach der Geburt eines Kindes verantwortungsvolle Positionen in Teilzeit übernehmen und dabei auch echte Aufstiegschancen haben.


Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert Lohngleichheit für gleichwertige Arbeit, eine Aufwertung frauendominierter Berufe und eine stärkere Tarifbindung.

Im 20. Jahrhundert erkämpften Frauen grundlegende Rechte – heute dürfen sie wählen und an Universitäten studieren. Der Historiker Kurt Michel bezeichnet die Diskriminierung von Frauen eine «kulturelle Verirrung». Doch Kultur lässt sich verändern. Wichtig ist dabei, am grundlegenden Prinzip festzuhalten, dass jeder Mensch gleich behandelt werden sollte – unabhängig von Herkunft, Sexualität oder Geschlecht.

Equal Pay Now! Endlich gleiches Gehalt für Frauen und Männer ist 2023 auf Deutsch im Wilhelm Goldmann Verlag erschienen.

Nicht Individuen müssen sich ändern, sondern das System.

Die Journalistin Birte Meier veröffentlichte ihr Buch Equal Pay Now! im Jahr 2023, nachdem sie herausgefunden hatte, dass sie aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert wurde. Über Jahre hatte sie bei gleicher Qualifikation und gleichen Aufgaben deutlich weniger verdient als ihre männlichen Kollegen. In ihrem Buch räumt sie mit den fünf Mythen der Lohnlückengegner*innen auf:

Mythos 1: Es gibt gar keine Lohndiskriminierung.

Mythos 2: Frauen haben kein Verhandlungsgeschick.

Mythos 3: Frauen wählen die falschen Berufe.

Mythos 4: Tarifverträge schützen vor Diskriminierung.

Mythos 5: Frauen bringen es einfach nicht.


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