Der Philosoph, der die Büros leerte

New Work entstand nicht mit Corona, sondern aus der radikalen Vision eines Denkers der 80er-Jahre. Von Kaja Gerdes

Ein junger Mann mit hellbraunen Locken sitzt auf einem Klappstuhl. Der Hintergrund ist leuchtend orange. Er trägt einen weinroten Pullover, darunter ein hellblaues Hemd. Er trägt keine richtige Hose, aber bunte Socken mit Comic-Motiv. Seine Beine hat er überschlagen. Neben ihm steht ein weißer dreibeiniger Couchtisch, auf dem ein grauer Blumentopf mit einer Pflanze und eine rosa Tasse stehen. Er schaut konzentriert auf seinen Laptop auf seinem Schoß. In seinen Ohren hat er Bluetooth-Kopfhörer.

Foto: Andreas Blauth und Kilian Kämper

Der 2021 verstorbene Philosoph Frithjof Bergmann gilt als Gründer der «New-Work-Bewegung». Bereits in den 1980er-Jahren beschäftigte er sich mit grundlegenden Fragen des Wertewandels in der Gesellschaft und dessen Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Sein Verständnis von New Work lässt sich in drei zentralen Thesen zusammenfassen:

1. New Work ist ein individueller und sozialer Aufstand, der eng mit der Nutzung smarter Technologien verbunden ist.

2. Das Konzept zielt auf Selbstbestimmung, Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit.

3. Menschen sollen ihre Persönlichkeit in ihre Arbeit einbringen und sich durch ihre Tätigkeit selbst verwirklichen können. Auf Grundlage eines kulturellen Wandels ist New Work jedoch ein langer Prozess.

Hatten sich Unternehmen in den 2010er-Jahren noch dagegen gesträubt, neue Prinzipien in den Arbeitsalltag zu integrieren, führte spätestens die Corona-Pandemie zu einem tiefgreifenden Umdenken. Einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge arbeiteten während der Pandemie etwa 25 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland ausschließlich im Homeoffice. Vor Corona waren es lediglich etwa 4 Prozent gewesen. Die Digitalisierung eröffnete somit neue Chancen zur Einführung alternativer Arbeitsmodelle. Gleichzeitig wurden sich viele Arbeitnehmer bewusst, dass Arbeit mehr sein kann als ein klassischer «9-to-5-Job» im Büro.

Das Bild zeigt eine Nahaufnahme von zwei Händen, die auf der Tastatur eines Laptops tippen. Die Person trägt einen beigefarbenen Mantel und darunter ein hellblaues Hemd mit einem weinroten Pullover. Ein silberner Ring schmückt einen Finger der rechten Hand. Der Laptop liegt auf dem Schoß der Person, und die Reflexion der Hände ist teilweise auf der glänzenden Oberfläche des Geräts sichtbar. Die Szene wirkt dynamisch und konzentriert. Foto: Andreas Blauth und Kilian Kämper

Frithjof Bergmann entwickelte bereits in den 80er-Jahren Ideen, die heute den Kern der «New Work»-Bewegung ausmachen.

New Work ist kein Trend der Corona-Pandemie

Die Arbeitswelt von heute verdeutlicht, dass «New Work» jedoch kein vorübergehender Trend der Pandemie war, sondern weiterhin von hoher Relevanz bleibt. Doris Doll beschreibt in ihrem Buch «New Work, Leistungskultur und Performance-Messung» (Mai 2024), dass die Ursache des aktuellen Wandels in einer neuen Leistungskultur liege. Insbesondere in börsennotierten Unternehmen hieß es früher meist «Profit first» und «Cash is King». Laut Doll befinden wir uns aktuell mitten im Wandel hin zu einer Leistungskultur, in der es nicht mehr ausschließlich um monetären Erfolg geht. Die alte Kultur brachte zwar Wohlstand, ließ jedoch oft das Familienleben, die Gesundheit und das Lebensglück der Beschäftigten auf der Strecke. Heute gehe es vielmehr darum, Arbeit zu leisten, auf die man stolz sein könne und für die man Anerkennung erhält.

Wie bereits Frithjof Bergmann feststellte, ist New Work ein langfristiger Prozess. Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren stark verändert – und dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Unternehmen stehen daher vor der Herausforderung, mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten und passende Maßnahmen umzusetzen.

Welche Arbeitszeitmodelle liegen im Trend?

Ein Trend-Report von Statista, Xing und Kununu (Portal für Arbeitgeberbewertungen) identifizierte 2024 vier wesentliche Entwicklungen für die Zukunft der Arbeit:

1. Hybrides Arbeiten: Besonders jüngere Generationen schätzen die Möglichkeit des Homeoffice. Fast ein Viertel der Generation Z und 21 Prozent der Millennials würden ihren Arbeitgeber wechseln, falls dieser kein Homeoffice anbietet. Moderne Bürokonzepte umfassen flexible Arbeitsplätze, Rückzugsräume sowie Collaboration- und Social-Areas. Auch das Prinzip der Job-Rotation gewinnt an Bedeutung.

2. Flexible Arbeitszeit: Der Anteil der Beschäftigten in Teilzeit ist mit derzeit 30,9 Prozent auf einem Rekordhoch. Auch die 4-Tage-Woche ist in der Diskussion stark vertreten. Fast ein Viertel der Deutschen wünscht sich diese Arbeitszeitverkürzung, allerdings nur bei gleichem Gehalt. Zwei Drittel der Befragten bezweifeln jedoch, dass dieses Modell bald umgesetzt wird.

3. DEI – Diversity, Equity, Inclusion: Diskriminierung am Arbeitsplatz bleibt ein drängendes Problem. 2023 gingen über 10.000 Anfragen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ein, ein Drittel davon betraf den Arbeitsplatz. Die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher.

4. Künstliche Intelligenz: KI wird in den kommenden Jahren den Arbeitsmarkt nachhaltig prägen. Für 2025 prognostiziert Statista global einen Umsatz von rund 227 Milliarden Euro im KI-Bereich. Bis 2030 wird ein jährliches Wachstum von etwa 30 Prozent erwartet.

Das Bild zeigt einen jungen Mann, der in einem Liegestuhl sitzt, während er auf einem Laptop arbeitet. Er trägt ein weinrotes Oberteil und auffällige bunte Socken mit Comic-Motiven, ist jedoch sonst leger gekleidet. Auf einem kleinen weißen Beistelltisch neben ihm stehen eine grüne Topfpflanze und eine rosa Tasse. Der Hintergrund ist dunkel, wodurch die Szene und die Gegenstände im Vordergrund hervorgehoben werden. Er wirkt entspannt, ist jedoch am gähnen, was möglicherweise auf Müdigkeit hinweist. Fotos: Andreas Blauth und Kilian Kämper

Corona als Katalysator: Während der Pandemie stieg der Anteil der Beschäftigten im Homeoffice von 4 auf rund 25 Prozent.

Ein junger Mann mit hellbrauen Locken sitzt in der Straßenbahn. Sein Rücken zeigt zum Fenster. Er hat seine Beine überschlagen und auf seinem Schoß befindet sich ein Laptop. Der Bildschirm des Laptops lässt sein Gesicht in orangenen Licht leuchten. Neben ihm steht ein kleiner weißer Beistelltisch, auf dem eine Pflanze und eine Tasse abgestellt sind. In seinem Ohr trägt er Bluetooth-Kopfhörer. Er ist am arbeiten und schaut auf seinen Laptop. Draußen wird es langsam dunkel.

Neue Bürowelten entstehen: Hybride Arbeitsplätze bieten Arbeitnehmern mehr Freiheit und Flexibilität und stärken zugleich die Zusammenarbeit im Team.

Es geht um den Menschen, nicht darum, schicke Büros und tolle Kaffeemaschinen zu haben.

Flexibles Arbeiten, moderne Führung und digitale Vernetzung: Die Hochschule Hannover setzt auf New Work, um die Arbeitskultur grundlegend zu verändern. Sechs Fragen an Projektleiterin Karen Altmann.

Auf dem Foto ist Karen Altmann, die Projektleiterin von New Work an der Hochschule Hannover zu sehen. Sie hat kurze, hellbraune Haare und schaut mit einem freundlichen Blick in die Kamera. Sie trägt einen schwarzen Blazer und ein apricotfarbenes TShirt. © Andreas Balleier

Wie würdest du New Work definieren?

Vor kurzem habe ich auf einer Netzwerkveranstaltung die Definition von Sonia Bytzek gehört, die mir sehr gut gefällt: «New Work ist menschenzentriertes und bedürfnisorientiertes Arbeiten». Es geht also um den Menschen, nicht darum, schicke Bürodesigns und tolle Kaffeemaschinen zu haben. Bei New Work geht es vor allem um die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten und miteinander kommunizieren. Kultur und echte Zusammenarbeit sind entscheidend. Die Menschen sollen sich wohlfühlen und gleichzeitig effizient arbeiten können.

Die Arbeitswelt untersteht einem ständigen Wandel. Wie spielt New Work in dem Prozess eine Rolle?

Vor allem durch Corona hat sich viel verändert. Viele möchten örtlich und zeitlich flexibel arbeiten. Gleichzeitig spüren wir den Fachkräftemangel, der auch die Hochschule Hannover betrifft. Um gute Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten, müssen wir attraktiver als Arbeitgeber werden. Ende 2023 hat das Präsidium das Thema New Work aufgenommen. Das Projekt an der Hochschule ist also eine Antwort auf die Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft und somit auch innerhalb der Hochschule. Wir bündeln bestehende Initiativen und starten neue Maßnahmen in den Bereichen «Bauliche Struktur & Räume», «Kommunikation & Zusammenarbeit» sowie «Führung».

Gibt es erste Erfolge?

Ein großer Erfolg ist die Projektkommunikation über Microsoft Teams. Bisher lief die gesamte digitale Kommunikation per E-Mail, und Mitarbeitende hatten keine Möglichkeit, digital zu diskutieren oder ihre Ideen einzubringen. Jetzt können sie das, und das fördert den Austausch ungemein. Momentan haben wir etwa 170 Mitglieder im Teams-Kanal, und wir hoffen, dass noch mehr dazu kommen. Es ist ein kleiner, aber erster Schritt hin zu einer offeneren Kommunikationskultur.

Welche Trends beobachtest du?

Flexibilität und Selbstbestimmung sind zentrale Trends, ebenso wie die  Automatisierung von Routinetätigkeiten. Dadurch entfällt einiges an wiederkehrender «Verwaltung», und es bleibt mehr Zeit für kreative und kooperative Aufgaben. Das macht New Work auch für Hochschulen besonders spannend, weil sich die Arbeitsweise hin zu projektbasiertem Arbeiten verschiebt.  

Was motiviert dich persönlich an deiner Arbeit?

Ich liebe es in Netzwerken zu arbeiten. Gemeinsam schafft man mehr und jeder Mensch bringt unterschiedliche Perspektiven, Erfahrung und Expertise mit. Ich habe mich in vielen Einzelgesprächen schon mit vielen Personen an der Hochschule ausgetauscht. Über Standorte, Arbeitsbereiche und Hierarchiestufen hinweg. Dabei habe ich so viele aufgeschlossene und motivierte Menschen getroffen, die alle das gleiche wollen: besser arbeiten und sich an der HsH wohlfühlen. Das motiviert und bestärkt mich sehr!  


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