Präparierkurs, erster Termin des neuen Medizinjahrgangs 2021/22.

Präparierkurs im Medizinstudium: Am Anfang steht der Tod.

 Julia Bellack Julia Bellack begleitete in ihrer Bachelorarbeit angehende Ärzt*innen beim Präparieren von Leichen. Wie geht es ihnen dabei?

Das Studium der Humanmedizin bringt ein umfassendes und komplexes Feld an theoretischem Wissen zu Bau und Funktion des menschlichen Körpers mit sich, das durch Lektüre und Vorlesungen allein nicht gänzlich vermittelbar ist. Um jede einzelne Struktur kennenzulernen und die Funktionen und komplizierten Lagebeziehungen untereinander zu verknüpfen, ist die hautnahe Auseinandersetzung mit dem menschlichen Leichnam als Lehrobjekt Grundbaustein an vielen medizinischen Hochschulen in Deutschland und weltweit.

Im Präparierkurs sezieren die angehenden Ärzt*innen direkt zu Studienbeginn konservierte Körper, um die Anatomie zu begreifen und so am echten Menschen das Fundament für ihre berufliche Zukunft zu legen. Die Leichname stammen von Körperspendern – Menschen, die sich zu Lebzeiten dazu bereiterklärt haben, ihren Körper nach dem Ableben einem anatomischen Institut für Lehre und Forschung zu spenden. Ich habe mich dem Themenkomplex Körperspende dokumentarfotografisch angenähert und an der Medizinischen Hochschule Hannover erkundet.

In meiner Arbeit bringe ich die Ebenen von wissenschaftlichem Arbeitsalltag an und mit der
Leiche, dem Verstorbenen als Lehrobjekt und den Studierenden mit ihren Gedanken und Gefühlen zusammen. Mit dem Tod als Tabuthema unserer heutigen Gesellschaft wirft das Projekt nicht nur einen Blick auf die emotionale Seite von Körperspende und Präparierkurs, sondern regt auch zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Blick auf die menschliche Vergänglichkeit an.

Körperspender-Präparat unter feuchtem Baumwolltuch vor Beginn des ersten Präparierkurses des neuen Jahrgangs 2021/22 an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Der Körper muss permanent feucht gehalten werden und auch während des Präparierens regelmäßig besprüht werden.

Einäscherung eines Körperspenders (bzw. seiner sterblichen Überreste nach Kursende) im Krematorium in Hildesheim.

Einäscherungsanlage (Rückseite). Etwa zwei Stunden dauert der Einäscherungsprozess bei 750-1050 °C.

Annalena, 21, Erstsemester Humanmedizin an der MHH, wenige Tage vor ihrem ersten Präpariertermin.

«Das Grundsätzliche, was mir andere Medizinstudenten mitgegeben haben, ist, dass man der Person, die vor einem liegt, noch vermitteln sollte, dass sie ihre Menschlichkeit immer noch besitzt und man sollte immer im Hinterkopf haben, dass diese immernoch ein Mensch ist und sie nicht nur als Objekt sehen. Ich muss sagen, dass ich auf jeden Fall Respekt vor dem ersten Präp-Termin habe. Ich freue mich drauf, aber es ist auch irgendwie so ein bisschen Angst mit dabei, Angst vor dem Ungewissen, weil man noch nie in so einer Situation war. Es ist halt einfach was ganz Besonderes.»

Korrosionspräparat der Niere (Ausgusspräparat mit Kunststoff). Das Gewebe wurde durch Kalilauge entfernt.

Leiche eines Körperspenders während der Konservierung auf einem speziellen Konservierungstisch in der Prosektur der MHH.

Trauerraum der MHH. Nach der Konservierung können Angehörige hier Abschied nehmen. Der Leichnam wird lediglich unter den Sarg geschoben und kann im Anschluss einfach in das hinten direkt angrenzende Küvettenlager transportiert werden.

Luisa, 20, Erstsemester Humanmedizin an der MHH während der ersten Wochen des Präparierkurses.

Luisa fühlte sich durch Erzählungen ihrer Mutter von deren Präpkurs gut vorbereitet, war letztlich aber doch emotional berührt: «Ich hab nicht damit gerechnet, dass die Leiche so frisch aussieht, weil ich vorher wusste, dass er schon seit zwei Jahren tot ist. Dementsprechend hätte ich nicht erwartet, dass es mich doch ein bisschen berührt. Als wir angefangen haben, ein bisschen herumzuschneiden, haben viele da eher Berührungsängste entwickelt, aber für mich war das eher so, «Oh Gott, das ist der Opa von irgendwem, der da liegt, oder der Papa und ich mach den jetzt quasi kaputt.» Ich hatte da eher, keine Hemmungen, aber Bedenken, dass ich da emotional zu nah dran bin. Also nicht diesen Ekel oder irgendwas, was auch viele haben, wie ich von anderen Kommilitonen gehört hab, sondern eher, dass ich denke, «Boah, das ist so ein süßer Opi.» Ich hab auch eine Schwäche für alte Leute.

Waschplatz in der Prosektur nach einer Konservierung.

Beginn der Präparation durch die Erstsemester. Erster Hautschnitt am Rücken und Trennung der Cutis von der Subcutis (Ober-/Unterhaut).

Küvetten (Lagertanks) mit je sechs Plätzen und 1800 Liter Volumen. Die Leichen werden hier in der Prosektur der MHH in mindestens 70%-igem Alkohol konserviert und können in diesem Zustand jahrelang aufbewahrt werden, bis sie zum Einsatz kommen.

Jonathan, 19, Erstsemester Humanmedizin an der MHH während der ersten Wochen des Präparierkurses.

Jonathan hat bereits als Sanitäter gearbeitet, der Präpkurs hat aber auch mit ihm etwas gemacht: «Wenn man wirklich erstmal im Saal steht und die Leiche zum ersten Mal abdeckt, diese Geruchswelle, wenn man das Laken zum ersten Mal runterzieht – es löst irgendwas in einem aus. Da kommt man, glaub ich, nicht herum. Und tatsächlich diesen ersten Schnitt zu setzen, war – es ging. Das schlimmste war, die Leiche zum ersten Mal anzufassen. Es fühlt sich nicht an wie ein Mensch, es ist härter, kälter, und immer so leicht nass. Ich hatte nicht gedacht, dass mich das überhaupt mitnehmen würde beim ersten Mal. Hat‘s aber. Ich bin da deutlich anders raus als rein. Ich denke nicht, dass ich ohne diesen Präpkurs verstanden hätte, wie die Rückenmuskeln funktionieren. (…) Diese Anreize und dieses Verständnis bekommt man nur dadurch, dass man einen echten Menschen vor sich hat.»

Vorlesung zur Makroskopischen Anatomie, begleitend zum Präparierkurs, 1. Semester Humanmedizin MHH.

Transversales Scheibenpräparat (Situs) mit herausziehbaren Ebenen im Präpariersaal. Viele Präparate der MHH sind extrem zeitaufwendige Spezialanfertigungen, die mit viel Sorgfalt und Planung direkt im Hause entstehen.

Hanna, 19, Erstsemester Humanmedizin an der MHH während der ersten Wochen des Präparierkurses.

Hanna möchte später für «Ärzte ohne Grenzen» arbeiten. Ihre Gedanken zum Kursbeginn: «Es ging eigentlich relativ schnell, dass man sich doch dran gewöhnt hat. Also eigentlich ist immer eher diese Angst präsent, irgendwas komplett falsch zu machen, irgendwelche Nerven zu zersäbeln, die man dann doch behalten muss oder so. Komisch waren die ersten Schnitte am Kopf. Am Anfang lag die Leiche auf dem Bauch, da hat man nur den Rücken gesehen. Dann nachher das Gesicht zu sehen, ist dann noch ein bisschen was anderes, aber das geht dann eigentlich auch. Man braucht da ein bisschen, dann geht das wieder.»

Sagitale Körperschnitte im Anatomischen Lernraum der MHH.

Tafelbild im Präparierkurs: Nacken & Achsellücken.

Vorkühlraum der Prosektur der MHH. Hier herrschen konstante 2-4 °C. Der Raum fungiert vor allem als «Wartezone« für die Leichen, z.B. vor Konservierungen, Kursen und Bestattungen.

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