Job mit Aussicht

Als sich Immobilienhändler Bernd Schröter vornimmt, das größte Amateur-Teleskop der Welt zu bauen, wird er für verrückt erklärt. Doch zur Expo 2000 eröffnet er tatsächlich seine eigene Sternwarte.
Von Nele Cumart (Text) und Lucas Tuan-Anh Nguyen (Bilder)

«Willkommen in meinem Penthouse», sagt Bernd Schröter und öffnet die Tür des nahezu fensterlosen, grauen Blech-Hauses mit dem eigenartig geformten Dach – das so gar nicht zwischen die Felder am Rand von Melle, in der Nähe von Osnabrück, passt. Im Inneren ist es kalt und dunkel. Nur ein paar alte Schulstühle stehen in Reihen, mit Blick auf eine weiße Wand. Schröter macht sich nicht die Mühe, das Licht anzuschalten, sondern läuft direkt auf eine schmale Treppe zu. «Andere haben eine Yacht oder eine Villa – ich hab meine Sternwarte», sagt er auf dem Weg nach oben. 

Dort angekommen, bleibt er in einem runden Raum mit hoher Decke stehen. Hier sieht es nicht luxuriöser aus als im Erdgeschoss. In der Mitte des Raumes ragt ein Metallkonstrukt Richtung Himmel. «Das größte Amateur-Teleskop der Welt», erklärt Schröter stolz. Noch ist es so dunkel, dass nur der meterhohe Schatten des Teleskops zu erkennen ist. Licht bräuchte er hier nicht, das störe nur beim Sternegucken. 

Ein verrostetes rot-braunes Schild. Das Schild ist umgeben von Bäumen und wird auf der rechten Seite teilweise von Blättern bedeckt. Hinter den Bäumen befindet sich ein Stück der weißen Blechwand der Sternwarte. Auf der oberen Rahmenseite des Schildes steht die Aufschrift ‚ EXPO Sternwarte-Melle‘. In der Mitte des Schildes befinden sich vor einem weißen Hintergrund ein Bild eines Sonnenunterganges sowie Infomaterial. Melle, Juni 2023

Der Eingang der Sternwarte erinnert noch heute an die Weltaustellung 2000.

Wie entsteht eine Sternwarte ?

Er öffnet ein Armaturenbrett und drückt auf einen Knopf. Langsam und knacksend beginnt sich eine Dachhälfte von der anderen zu lösen. Je weiter die Kuppel auffährt, umso mehr fällt die Abendsonne auf das riesige Fernrohr aus schwarzem Metall. «Die Dachhälften können wir vier Meter auseinanderschieben, um einen uneingeschränkten Blick auf den Nachthimmel zu haben», sagt Schröter. Mehr noch: Die Dachkuppel ist auf einer kreisförmigen Drehplatte angebracht. Sie lässt sich um 360 Grad drehen, sodass ein Blick in alle Himmelsrichtungen möglich ist. Für das einzigartige Drehgerüst habe er eine Firma gefunden, die sonst Rührgeräte für die Chemieindustrie baut. Der große Spiegel im Teleskop sei aus Russland und ehemals für Militär-Einsätze gebaut worden, sagt Schröter. Über fünf Jahre hinweg habe er sich so die einzelnen Puzzle-Teile für sein Projekt gesammelt. 

Der Rentner und Hobby-Astrologe Bernd Schröter steht in der Sternwarte. Im Hintergrund befindet sich die grau-schwarze Innenseite des Daches. Auf seiner rechten Seite ist ein weißes Teleskop, mit blau-roter Aufschrift ‚Starfire EDF‘, an einer schwarzen Halterung angebracht. Hinter ihm befindet sich eine silberne Metalltreppe, die entlang der schwarzen Halterung nach oben führt. Schröter trägt ein grau-weißes Hemd mit kurzen Ärmeln, eine graue lange Hose und hellblaue Socken mit grau-orangenen Sandalen. Er hat weiße Haare sowie einen weißen kurzen Vollbart und trägt eine Brille. Melle, Juni 2023

Bernd Schröter vor seinem Newton-Teleskop, das besonders in der Amateuerastronomie weltweit beliebt ist.

«Ich habe nur die richtigen Menschen für die Umsetzung der Sternwarte zusammengesucht und ganz viel Motivationsarbeit geleistet», erinnert sich der inzwischen 64-jährige Hobbysterngucker. Als er seine Ideen für den Bau eines Newton-Amateur-Teleskops mit einem Spiegeldurchmesser von 1,12 Metern und einer Brennweite von 4,40 Meter an Vereine trägt, stößt er auf Erstaunen. «Über einen Meter Spiegeldurchmesser? Der Schröter spinnt doch, das hat in der Amateur-Szene noch niemand gemacht», erinnert er sich lachend an das Feedback aus der Community.  

Doch Schröter zieht seinen Plan durch. Der hauptberufliche Immobilienhändler ist gut vernetzt und überzeugungsfähig. Er reist durch Europa, um verschiedene Sternwarten zu inspizieren, um Ideen für seine eigene zu sammeln. Schlussendlich wurde das 2,5 Tonnen schwere Teleskop auf eine massive Betonsäule gebaut, bevor das Blechhaus um das Teleskop herum fertiggestellt wurde.  

Ein großes schwarzes Metallgerüst ragt in den grau-hellblauen Tageshimmel. Auf der rechten Seite hängen schmale Kabel an der Seite. Mittig im Gerüst ist ein kleiner, runder und von Metall umhüllter Spiegel angebracht.

Das Teleskop-Gerüst in der Sternwarte verdeutlicht die enorme Größe von Schröters Teleskop.

Der obere Teil eines weißen Teleskops ragt in Richtung grau-hellblauer Tageshimmel. Das Teleskop trägt die blau-rote Aufschrift ‚Starfire EDF‘. Im Hintergrund befindet sich verschwommen ein Ausschnitt der schwarzen Innenseite des Daches und ein Teil eines silbernen Gerüsts.

Das größte Newton-Amateurteleskop der Welt: Jedes Jahr zeigt Schröter hiermit zahlreichen Besuchenden die Sterne.

Ein kleines orangenes Teleskop ist auf einem schwarzen Metallständer befestigt. Ein langes schwarzes Kabel hängt an der Seite des Ständers. Das Teleskop befindet sich im Inneren der Sternwarte vor einer schwarzen, niedrigen Wand, an der zwei kleine Lampen angebracht sind. Darüber befindet sich die grau-schwarze Innenseite des Daches.

Auch kleinere Teleskope sind in der Sternwarte zu finden. Jedes Teleskop hat andere besondere Eigenschaften.

Wie der Kronprinz von Nepal nach Melle kam

Seine Bemühungen enden in einem großen Erfolg: Pünktlich zur EXPO im Juni 2000 öffnet die Sternwarte das erste Mal ihre Türen für Besuchende aus der ganzen Welt. Schröters Highlight aus der Expo Zeit: Ein unangekündigter Ehrengast. «Eines Abends ist eine Limousine bei uns an der Sternwarte vorgefahren. Ein Chauffeur ist ausgestiegen und hat eine Familie zum Eingang der Sternwarte begleitet», meint Schröter. Wie alle anderen Familien habe auch diese aufmerksam und begeistert durch das Fernrohr geschaut und eine kleine Führung bekommen. Auf Nachfrage erzählte der Vater, dass die Familie aus Nepal komme. Nach mehreren Stunden in der Sternwarte schenkte der Gast dem Sternwarten-Team einen kleinen Silberdolch, als Zeichen seiner Dankbarkeit. «Da dachten wir uns schon: Das muss eine sehr wohlhabende Familie sein», erinnert sich Schröter. Am nächsten Tag entdecken Schröter und seine Kollegen den Mann erneut: Dieses Mal in den Nachrichten. Sie erfahren, dass Diprendra Bir Bikram Shah Dev, der Kronprinz von Nepal, einen Abend zuvor in ihrer Sternwarte in Melle stand.  

Wem gehören die Sterne? 

Doch nicht nur Adelige finden ihren Weg nach Melle: Auch Heiratsanträge, Kindergeburtstage und Seniorentreffen gab es schon in der Sternwarte. Schröter freut sich über alle Besuchenden. Nur eine Sache regt den Rentner auf: Vor ein paar Jahren habe es einen regelrechten Hype um Sternpartnerschaften und sogar Sternenkäufe gegeben. Wenn die Menschen in die Sternwarte kommen, um ihre vermeintlich eigenen Sterne zu sehen, tut Schröter ihnen den Gefallen. Doch seine Meinung zu Sternenkäufen ist klar: «Das ist schlichtweg falsch. Man kann Sterne nicht kaufen oder verschenken, weil sie niemandem gehören», sagt er. 

Am liebsten guckt Schröter mit jungen Menschen durch das Fernrohr. Denn auch seine eigene Faszination für die Sterne habe er als Kind entdeckt. Sein erstes Teleskop fand Schröter in einem «Was-Ist-Was»-Buch, das er als 6-Jähriger von seinem Taschengeld kaufte. Seitdem gibt es für ihn kein Halten mehr: Inzwischen ist er zum Sterngucken schon in die USA gereist, baute seine erste eigene Sternwarte mit Anfang 20 in Namibia und plant bereits seine nächste Reise zum Äquator, um von dort den Nachthimmel im rechten Winkel zu beobachten. 

Die Reisen macht er alleine: Seine Familie will nichts mit seinem Hobby zu tun haben. «Meine Frau wartet zu Hause, wenn ich zum Sternegucken reise und mein Sohn hat auch kein größeres Interesse an der Sternwarte», meint er. Doch das sei nicht schlimm: Bei der Sternwarte bekommt er die Unterstützung von fünf ehrenamtlichen Kollegen. Den sechs ist es wichtig, die Sternwarte für die Öffentlichkeit zugänglich zu lassen. Denn alleine in den Himmel zu schauen sei zwar schön, aber das Erlebte mit anderen zu teilen sei noch schöner, findet Schröter. 

Ein kleiner braun-grauner Stein liegt auf der geöffneten Handinnenfläche. Der Stein hat eine runde, ungleichmäßige Form und eine glatte Struktur.

Teil einer Sternschuppe, gefunden in Rußland: Nur selten kommt es vor, dass man die Steine aus dem All findet.

Eine Sternschnuppe für die Hosentasche 

Doch heute ist es, trotz der späten Uhrzeit, zu hell, um in den Sternenhimmel zu schauen. «Wir machen hier gerade Sommerschlaf: Bis Oktober kann man nichts im Himmel sehen, weil die Sonne in unseren Breitengraden nicht tief genug untergeht», erklärt Schröter. 

Einen Himmelskörper kann er trotz der mangelnden Finsternis präsentieren: Er holt ein kleines Stück Gestein, kaum größer als eine Erbse, aus einer Schublade im Eingang der Sternwarte. Der kleine Brocken sieht denkbar unauffällig aus. Tatsächlich handelt es sich dabei jedoch um den Teil einer Sternschnuppe, die über Russland auf die Erde gefallen ist und ihren Weg als Geschenk bis nach Melle in die Sternwarte gefunden hat. «Die hier hat, glaube ich, noch einen Wunsch frei», Schröter lächelt, als er sie in seine Hosentasche steckt, den Strom ausschaltet und seine Sternwarte abschließt.  


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