Das Akademische stand im Vordergrund
Wenn sich Ideale von Eltern und Kinder unterscheiden. Wie eine junge Medizinstudentin mit dem Druck zu Hause umgeht. Von Moritz Hartenstein
Studieren, arbeiten, Karriere machen: Medizinstudentin Clara Springer (24) spricht im Interview über den Umgang mit den hohen Erwartungen ihrer Eltern. Außerdem erklärt sie, wie sie es geschafft hat, mit dem Druck umzugehen.
Clara, wie ist das Verhältnis zu deinen Eltern?
Wir hatten eigentlich immer ein gutes Verhältnis, gerade, als ich noch zu Hause gewohnt habe. Seitdem ich ausgezogen bin und meine eigenen Pläne verfolge, hat sich das ein kleines bisschen distanziert. Insgesamt habe ich aber ein freundschaftliches Verhältnis zu meinen Eltern.
Was sind deine Ideale im Vergleich zu denen deiner Eltern?
Meine Eltern haben schon das Ideal der Zufriedenheit, das ist aber sehr akademisch geprägt und auf Erfolg im klassischen Karriere-Sinn ausgelegt. Meine Ideale beziehen sich eher auf den persönlichen Bereich. Ich will zufrieden sein und auf mein Bauchgefühl hören – auch wenn der Weg dann nicht immer gradlinig ist.
War deine Zukunft oft ein Thema?
Es war schon oft ein Thema, was ich eigentlich mit meinem Leben anfangen möchte. Für meine Eltern war immer klar, dass das Akademische im Vordergrund steht. Viel weniger dagegen andere Aspekte, die zum Leben dazugehören, beispielsweise Soziales. Für meine Eltern ist klar, dass die Zufriedenheit zu 100 Prozent davon abhängt, wie hoch man auf der Karriereleiter kommt.
Hast du dich unter Druck gesetzt gefühlt?
Meine Eltern haben mich nie bewusst unter Druck gesetzt und meinten auch immer, dass ich mich frei entfalten solle. Es kam aber immer wieder durch, dass sie schon gewisse Erwartungen haben, beispielsweise was meine Zielstrebigkeit oder mein Arbeitspensum angeht. Die Selbstverständlichkeit, dass ich doch um jeden Preis auf einen guten Job hinarbeiten müsse, hat mich teilweise unter Druck gesetzt.
Hattest du wegen den unterschiedlichen Idealen oft Streit mit deinen Eltern, wenn es um deine Zukunft ging?
Es ist absurd, aber als ich mich in meiner Doktorarbeit ein bisschen vom Themenfeld distanziert habe, in dem mein Vater arbeitet, war er sehr enttäuscht. Ich habe mich auch gegen einige Praktika entschieden, weil es mir zu stressig war. Das Ideal, ich müsse mein ganzes Leben in diese Ausbildung stecken, war ein Grund, warum wir ein paarmal aneinandergeraten sind. Einfach weil ich andere Prioritäten hatte.
Hast du abschließend ein paar Tipps für Menschen, die viel Druck von ihren Eltern verspüren?
Ich empfehle auf jeden Fall, mit vielen anderen über Zukunft zu sprechen, vor allem auch mit Gleichaltrigen. Dabei würde ich über das Berufliche hinausgehen. Man kann auch mit anderen Erwachsenen über ihren Werdegang sprechen. Dabei ist mir damals aufgefallen, dass es so viele Menschen gibt, die keinen gradlinigen Weg gegangen sind und dass vieles vom Zufall abhängig ist. Ich finde es super wichtig, auf das Bauchgefühl zu hören und sich verschiedene Lebensentwürfe vor Augen zu halten und eben nicht nur diesen einen, mit dem man aufgewachsen ist.
Welchen Einfluss hatten deine Eltern auf deine Entscheidung, Medizin zu studieren?
Ehrlicherweise hatte ich mich schon für andere Studiengänge beworben, meine Mutter meinte dann im letzten Moment: «Ach, willst du nicht doch noch die Bewerbung für Medizin ausfüllen?» So bin ich dann reingekommen und dachte mir, dass ich mir das mal anschauen will. So hat das Ganze seinen Lauf genommen.
Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest, würdest du nach dem Abitur einen anderen Weg einschlagen?
Möglicherweise ja. Ich habe mich damit auseinandergesetzt, welche Ideale ich von zu Hause mitbekommen habe und was sich in den letzten Jahren bei mir entwickelt hat. Ich finde, zwischen 18 und 24 tut sich in der Persönlichkeitsentwicklung viel und die Frage «Was brauche ich eigentlich, um zufrieden zu sein» rückt immer weiter in den Vordergrund. Ich habe schon gemerkt, dass der Job der Ärztin zu stressig ist. Ob ich das auf Dauer kann, weiß ich nicht. Es ist jetzt der Weg, den ich eingeschlagen habe, und ich glaube, ich werde darin auch glücklich sein. Gerade der soziale Aspekt ist sehr schön. Mit dem Wissen, das ich jetzt habe, würde ich aber möglicherweise schon etwas anderes machen.
Die Illustration wurde mit Adobe Firefly erstellt. Prompt: «Akademiker-Eltern, die hohe Erwartungen an ihre Tochter haben, dunkler Hintergrund»
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