Gestopft, gequetscht, gehungert
Seit es uns gibt, gibt es auch vermeintlich ideale Körper. Welche Proportionen schmeichelten im Mittelalter? Was gilt heute als schön? Von Lion Knirsch
Darstellungen menschlicher Körper sind keine Erfindung der Neuzeit – nicht einmal der Antike. Bereits vor circa 30.000 Jahren, lange vor Social Media, schienen Körperbilder zu faszinieren. So zeigt der Fund der Venus von Willendorf, einer Frauenfigur der Altsteinzeit, dass üppige Kurven samt hängender Brüste anscheinend eine gewisse Bedeutung hatten, so das Naturhistorische Museum Wien. Welche genau? Bis heute ein Rätsel!
Eindeutiger wird es da schon ein paar tausend Jahre später. Denn laut Liane Vorwerk-Gundermann von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg galt im Mittelalter unter Frauen ein «knabenhaftes» Aussehen mit apfelgroßen Brüsten samt kleinem runden Bauch als schön. Unter den Männern seien eine schmale Taille und schmale Schultern hingegen sehr erstrebenswert gewesen – oft sei der Bauch dazu eingebunden worden.
Als sich die Gesellschaft in der Renaissance wieder der Antike zuwendete, entwickelten sich Körperideale, welche bereits im antiken Griechenland porträtiert wurden, erklärt Marlies Stücklschweiger in einer wissenschaftlichen Studie. Wie griechische Götter sollte der Mann geformt sein, athletisch und kraftstrotzend. Michelangelos David-Statue ist nur eine von vielen Darstellungen dieses Ideals. Der mittelalterliche Schlankheitswahn bei Frauen lockerte sich ab 1500 n.Chr. etwas. Die Idee eines moderaten Busens blieb allerdings bestehen.
«Der Staat bin ich!». Nicht nur in der Politik setzte Sonnenkönig Ludwig XIV im 17. Jahrhundert Maßstäbe, sondern auch in Sachen Schönheitsideale. So wandte man sich im Barock der Genussfähigkeit zu. Üppige Körperproportionen sowie Größe galten als prunkvoll. Um der Natur nachzuhelfen, griff man zu Auspolsterungen an Hosen und Co. sowie hohen Lockenperücken. Frauen sollten zusätzlich ihre Rundungen durch ein Korsett betonen. So Daniela Mauch, welche sich in ihrer Ausarbeitung «Schönheitsideale im Wandel der Zeit – phänomenologische und textildidaktische Aspekte» mit dem Thema befasste.
Das Körperprojekt
Die Künstlerin Maria Karasjow aus Papenburg möchte mit ihrem eigenen Kunstprojekt @koerpersachen auf Instagram nun eine neue Perspektive aufzeigen: Body-Neutrality. «Ich möchte Menschen darstellen, wie sie wirklich sind – unbearbeitet, mit ihren ganzen kleinen Details und einzigartigen Zügen.» Was 2019 als reine Zeichenübung begann, entwickelte sich für die 23-Jährige zu einem Herzensprojekt. «Mir ist wichtig, mit meinen Bildern Akzeptanz zu schaffen. Akzeptanz, dass sich niemand dafür schämen muss, in kein gesellschaftlich vorgegebenes Schönheitsideal zu passen. Body-Neutrality bedeutet, den eigenen und andere Körper so anzunehmen, wie sie sind. Es geht nicht darum, alle Körperformen zu lieben, es geht darum, sie zu akzeptieren.»
Dabei sollen wir aus der Vergangenheit lernen, sagt Karasjow. «Den einen idealen Körper gibt es schlichtweg nicht, daher hat sich dieses Bild im Laufe der Zeit auch so oft verändert. Es ist wichtig, sich in seinem eigenen Körper wohlzufühlen und sich nicht durch vermeintliche Ideale unter Druck setzen zu lassen.»