Friedrich Merz: Zwischen Blackrock und Kanzleramt
Friedrich Merz führt seit zwei Jahren die CDU. Er gibt sich volksnah, trotz seiner Vergangenheit als BlackRock-Aufsichtsratschef. Warum hören ihm die Leute eigentlich zu? Von Finn Winkler (Text) und Martin Steger (Fotos)
Es ist ein sonniger Vormittag Anfang September kurz vor der bayrischen Landtagswahl 2023. Friedrich Merz betritt die Bühne im vollen Bierzelt in Abensberg. Die Luft ist heiß und etwas stickig, die Stimmung ausgelassen. Merz trägt eine schlichte graue Trachtenjacke, vielleicht, um bei den Einwohner*innen der niederbayerischen Kleinstadt anzukommen. Beim «politischen Gillamoos» versammeln sich zahlreiche Spitzenpolitiker*innen.
Friedrich Merz nutzt die Gelegenheit, sich deutlich zu positionieren. «Nicht Kreuzberg ist Deutschland», proklamiert er ins Mikrofon. «Gillamoos ist Deutschland!» Diese Worte lösen landesweit Diskussionen aus. Seine Rede schafft es in die Abendnachrichten, sein Gesicht ziert am nächsten Tag die Titelseiten.
Die Rede auf der Gillamooswiese verdeutlicht, wie Merz versucht, bestimmte kulturelle und gesellschaftliche Themen zu betonen. Während er einerseits populäre Meinungen besetzt, zieht er auch Kritik für seine oft polarisierenden Positionen auf sich.
An jenem sonnigen Vormittag im Bierzelt betont Merz, dass Gillamoos stellvertretend für das «wahre» Deutschland stehe. Eine kurze Online-Recherche zeigt jedoch, dass auch Kreuzberg ein integraler Bestandteil Deutschlands ist und dort deutlich mehr Menschen leben als in Abensberg. Wenn Friedrich Merz nicht gerade über das urbane Deutschland spricht, thematisiert er oft Integrationsprobleme junger Menschen mit Migrationshintergrund und spricht von «kleinen Paschas». Zudem äußert er sich gelegentlich zu Themen wie der zahnmedizinischen Versorgung von Asylbewerber*innen und dem angeblichen Sozialtourismus, was regelmäßig öffentliche Empörung hervorruft.
Die Gillamoos-Rede verdeutlicht Friedrich Merz‘ Bestreben nach Volksnähe. Wenn er davon spricht, Gillamoos sei Deutschland und nicht Kreuzberg, dann schürt er das Gefühl, im Land werde in erster Linie Politik für eine privilegierte Elite in den Innenstädten gemacht. Der SPIEGEL spekulierte im Anschluss an die Gillamoos-Rede, es ginge Merz womöglich darum, eine bestimmte Illusion zu erschaffen. Die Illusion, dass der ehemalige Blackrock-Funktionär und Multimillionär Merz volksnah sei. Die Illusion, dass Merz auf der Seite der jeweiligen Bierzeltbesatzungen stehe, zu der er gerade spricht.
Der Vermögensverwalter BlackRock, für den Merz jahrelang tätig war, wird durchaus kritisch gesehen. Der Tagesspiegel berichtete 2018 im Rahmen von Merz‘ politischem Comeback: «Kritiker halten Blackrock vor, den Wettbewerb zu torpedieren, die Altersvorsorge bewusst zum eigenen Vorteil zu privatisieren, sehr eng mit Behörden zusammenzuarbeiten und damit auch Einfluss auf die Regulierung der Finanzbranche zu nehmen.»
Merz war außerdem bis in das Jahr 2021 als Senior Counsel im Düsseldorfer Büro der Anwaltskanzlei Mayer Brown tätig. ZEIT ONLINE bermerkte 2018, dass diese Anwalts-Kanzlei auf ihre Weise an dem Steuerdiebstahl Cum-Ex mitverdiene: So wolle die Kanzlei ihren Kund*innen dabei behilflich sein, dem wachsenden Rechtsrisiko durch Cum-Ex-Geschäfte entgegenzuwirken. Bei den Cum-Ex-Geschäften hatten sich einige Banken durch Diebstahl in großem Stil an öffentlichen Geldern bereichert. Davon profitierte in erster Linie eine Elite, die deutlich privilegierter ist, als die Kreuzberger Bevölkerung.
Friedrich Merz’ polarisierende Äußerungen und das Spielen mit kulturellen Gegensätzen stehen sinnbildlich für die Spaltungen innerhalb der deutschen Gesellschaft. Seine Fähigkeit, die politische Agenda zu prägen und Debatten anzustoßen, führt dazu, dass er trotz oder gerade wegen der vielen Kontroversen eine zentrale Rolle im politischen Diskurs Deutschlands spielt.
Über die Fotos in diesem Beitrag
Der Fotograf Martin Steger folgt dem CDU-Vorsitzenden seit zwei Jahren. Er erlebte Friedrich Merz bei den Wahlkämpfen in Hessen, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.