Geschäftsmodell Kidfluencer

Kinder als Influencer bringen Eltern viel Geld – doch wer schützt die Kleinsten, wenn Privatsphäre zur Ware wird? Von Jule Franz

Symbolfoto einer Jugendlichen Kidfluencerin auf einem Stuhl in ihrem abgedunkelten Zimmer. Sie schminkt sich für Social Media und schaut dabei in ihr Smartphone, das von einem hellen Ring-LED umgeben ist.

Symbolfoto: Meline Bühler

Der Begriff Kidfluencer beschreibt Minderjährige, die in den sozialen Medien durch ihre Eltern als Influencer vermarktet werden. Er bezieht sich dabei nicht nur auf die eigenen Accounts der Kinder, sondern ebenso auf sogenannte Familien- oder Mommy-Vlogger-Kanäle, bei denen die Kinder als Protagonisten auftreten. Auffällig ist, dass das Alter dieser Kidfluencer in den letzten Jahren immer weiter gesunken ist. Längst sind es nicht mehr nur Teenager, sondern zunehmend Kleinkinder und sogar Neugeborene.

Eltern als eigene Manager? 

Gefangen zwischen liebevollen Eltern und zielstrebigen Chefs: Beim Kidfluencing spielen die Eltern eine entscheidende Rolle, denn ohne sie wäre das gesamte Geschäftsmodell gesetzlich gar nicht umsetzbar. Da die meisten Social-Media-Plattformen eine Altersgrenze von mindestens 13 Jahren voraussetzen, verwalten Eltern die Accounts ihrer Kinder, um eine Sperrung der Profile zu umgehen. Sie kümmern sich hinter den Kulissen um exakte Inhaltsplanung, Branding und vor allem um die Monetarisierung. Diskussionen über Einnahmequellen wie Sponsoring, Produktplatzierungen und Merchandising gehören dabei zum Alltag.

Foto eines Smartphone-Displays, auf dem einer Kidfluencerin die Augen verdeckt werden von einer anderen Person als Symbol für verloren gegangene Kindheit der Influencer. Symbolfoto: Xi Wang

Ein Alltag voller Erwartungen, Leistungsdruck und Stress: Forschungsergebnisse zu den langfristigen Folgen des Influencer-Lifestyles auf Kinder gibt es aufgrund der Neuheit des Phänomens kaum. Zweifellos verfügen manche Kidfluencer dank ihres Netzwerks und Vermögens über Möglichkeiten, von denen Gleichaltrige nur träumen können. Doch um welchen Preis?

Im Netz kursieren zunehmend Erfahrungsberichte mittlerweile erwachsener Kidfluencer, die wie Horrorstorys klingen. Sie erzählen von psychischem Missbrauch und körperlicher Ausbeutung durch die eigenen Eltern, vom Verlust jeglicher Privatsphäre, ständigem Bewertungsdruck und der permanenten Angst zu versagen. Manche Eltern vermitteln ihren Kindern bei Widerstand sogar, ohne neue Videos könnten Rechnungen nicht bezahlt werden und die Familie müsse hungern. Vergleiche und Konkurrenzdenken werden zum Alltag, der Selbstwert relativiert sich, und die Objektifizierung des eigenen Körpers wird schleichend zur Normalität.

Ethik – Ist das schon Kinderarbeit? 

Wie viel Geld Kidfluencer-Accounts monatlich oder pro Video verdienen, hängt stark von Followerzahl und Reichweite ab. Laut einem Artikel der «Time» vom Februar 2024 erzielen Kidfluencer teilweise bis zu sechsstellige Monatsbeträge. Einige verlangen von Unternehmen sogar zwischen 10.000 und 20.000 Dollar pro Posting. Problematisch ist hierbei, dass bislang keine klaren Gesetze existieren, die regeln, wem dieses Einkommen am Ende zusteht. Das bedeutet, dass die Kinder rechtlich oft ungeschützt sind und häufig nicht einen Cent des eingespielten Geldes erhalten, da ihre Eltern die Einnahmen komplett für sich reklamieren. Ob es sich bei diesem Geschäftsmodell letztendlich um Kinderarbeit handelt, kann nur im Einzelfall und anhand verschiedener subjektiver Faktoren beurteilt werden – vorrangig aber nach dem Wohlbefinden und Einverständnis des Kindes. Handelt es sich um kommerziell orientierte Accounts, die nachhaltig und negativ auf die Entwicklung des Kindes wirken, kann jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit von Kinderarbeit gesprochen werden.


Die jungen Erwachsenen berichten über den Verlust ihrer Privatsphäre, den Umgang mit öffentlicher Bewertung und ihrer ständigen Angst vor Misserfolg.

Eine Jugendliche schaut unter der Bettdecke auf ihr Smartphone – sie könnte eine Kidfluencerin sein. Symbolfoto: Anna Budovei

Kidfluencing greift massiv in die Privatsphäre Minderjähriger ein und teilt deren intimste Momente mit der Öffentlichkeit. Ihre Chancen auf echte Selbstentfaltung schwinden spätestens dann, wenn das erste Geld ins Spiel kommt. Dadurch verwandelt sich eine Mutter-Tochter-Beziehung in ein Arbeitsverhältnis und eine Einkommensquelle, die um jeden Preis erhalten bleiben soll. Deshalb ist eine gesunde Balance zwischen kommerziellen Aktivitäten und Kindheit essenziell – Geld allein ist hierfür keine geeignete Grundlage.


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