Erwachsenwerden ohne Gebrauchsanweisung
Als Kind dachte Burcu, mit 1,70 Metern sei man erwachsen. Heute, mit 26, fragt sie sich: Was bedeutet es wirklich, das Leben selbst in die Hand zu nehmen?
Der Wecker klingelt, und Burcu drückt auf die Schlummertaste. Nur noch fünf Minuten. Doch dann reißt sie sich aus dem Bett – widerwillig. Der Tag beginnt, und wie so oft wird ihr klar: Erwachsenwerden ist alles andere als leicht. Für Burcu fühlt es sich an wie ein Buch ohne Gebrauchsanweisung. Man muss einfach loslegen. «Es gibt keine andere Möglichkeit», sagt sie und zuckt mit den Schultern.
In ihrer Kindheit war vieles einfacher. Ihre Mutter, trotz der Verantwortung für vier Kinder, war stets eine Stütze und nahm Burcu viele Herausforderungen ab. Doch mit dem Auszug in eine Wohngemeinschaft in Osnabrück änderte sich alles. Auf einmal war da niemand mehr, der sie an Ordnung und Routinen erinnerte. Stattdessen: Eigenverantwortung. Sie entdeckte die Freiheit – und die Fallstricke, die damit einhergehen. Zum Beispiel, sich ungestört durch die Netflix-Serie Squid Game zu schauen, ohne dass jemand protestiert. Aber Burcu lernte schnell: Freiheit bringt auch Verantwortung mit sich.
Ein türkisches Sprichwort begleitet sie seit ihrer Jugend: «Einen Baum biegt man, solange er jung ist.» Für Burcu beschreibt es das Erwachsenwerden treffend. Jede Entscheidung, davon ist sie überzeugt, prägt das spätere Leben. Um nicht den Überblick zu verlieren, hat sie sich Rituale geschaffen: Ein kleines Notizheft hilft ihr, die täglichen Aufgaben zu ordnen. Perfekt läuft es nicht immer, aber es gibt ihr Struktur. Diese Disziplin braucht sie, um ihren doppelten Bachelor in islamischer Theologie und Erziehungswissenschaften zu bewältigen.
Wenn der Tag lang und anstrengend war, entspannt sie sich mit einem Liebesroman – Hauptsache, es gibt ein Happy End. Oder sie trifft Freunde und muslimische Communities, die ihr ein Gefühl von Heimat und Familie geben.
Ihr erstes echtes Erwachsenengefühl erlebte Burcu vor vier Jahren. Ein Umzug stand an, der fünfte in ihrem Leben. Diesmal wollte sie es allein schaffen, ohne jemandem zur Last zu fallen. Doch es war härter, als sie dachte. Als die Kartons nicht wie geplant gepackt und die Möbel nicht wie gewünscht aufgebaut waren, wurde der Tag zur Zerreißprobe. Ihre Mutter hätte ihr früher in solchen Momenten geholfen. Burcu war überwältigt – und weinte. Aber Aufgeben war keine Option. Am Ende, erschöpft, aber zufrieden, stand sie in der neuen Wohnung. Stolz erfüllte sie: Sie hatte es geschafft – ganz allein.
Burcus Geschichte zeigt: Erwachsenwerden bedeutet, Fehler zu machen, aus ihnen zu lernen und trotz Rückschlägen weiterzumachen. Ihre Erkenntnis: Es ist nicht immer leicht, aber jeder kleine Schritt bringt sie näher zu sich selbst.