Camping mit Herz

Als Putins Bomben im Februar 2022 die Ukraine trafen, wollte Rassa Hoffmann nicht untätig bleiben. Im Gespräch erzählt sie, wie sie mit einer außergewöhnlichen Idee ein ganzes Dorf mobilisierte. Von Tim Klein (Interview) und Simon Belperio (Fotos)

Rassa Hoffmann

Du bist letztes Jahr als «Engel von Hademstorf» bekannt geworden, weil du ukrainische Geflüchtete auf deinem Campingplatz in deinem niedersächsischen Dorf aufgenommen hast. Wie ist das abgelaufen?

Das klingt schwer zu glauben, aber an dem Tag, als der Ukraine-Krieg begann, ist mein Fernseher von allein am frühen Morgen angegangen. In den Nachrichten wurde über den Einmarsch berichtet und ich wusste, dass ich helfen muss. Das war wie ein Zeichen. Ich dachte, ich nehme ein paar Familien auf, über das ganze Jahr verteilt haben hier dann 250 Menschen aus der Ukraine gewohnt.

Und wer hat dir dabei geholfen?

Ich habe das Meiste allein gemacht. Über Facebook habe ich einen Hilfe-Aufruf in meiner litauischen Gemeinschaft gemacht, nachdem die ersten Familien aus der Ukraine angekommen sind. Darauf haben einige Leute reagiert und haben mir hier geholfen, Platz für mehr Menschen zu schaffen. Als ich für die Familien eingekauft habe, wurde ich gefragt, warum ich denn so viel kaufen würde. Ich habe meine Situation erklärt und viel Zuspruch erhalten. Sogar die Bürgermeisterin wollte helfen. Eine andere Frau aus Hademstorf hat einen Hilfe-Aufruf zum Radiosender FFN geschickt, den viele Leute gehört haben.

Was ist dabei herausgekommen?

Es war wie bei einem Tornado, es kamen so viele Leute, die Sachen vorbeigebracht haben. Da war viel Gutes dabei, manche haben aber auch ihren Sperrmüll und schmutzige und kaputte Kleidung abgegeben. Eine Frauengruppe hat zwei Waschmaschinen gekauft und vorbeigebracht, das hat viel geholfen. Nicht so schön war hingegen, dass ein Mann einen Wäschetrockner als Spende geliefert hat. Später kam dafür eine Rechnung an. Trotzdem habe ich mich bei allen bedankt. Ich kann nicht in den Kopf der Leute sehen und wollte nicht, dass aus der Sache etwas Negatives wird.

Wie lief denn die Zeit mit den ukrainischen Familien auf dem Campingplatz ab?

Morgens, mittags und abends musste etwas zu Essen da sein, ich habe sehr wenig geschlafen. Es sah hier aus wie auf einem riesigen Flohmarkt, mit vielen Ständen, an denen ich Essen und Kleidung verteilt habe. Ständig kamen neue Leute an, egal ob tagsüber oder nachts. Manchmal saß ich hier wie ein Zombie. Als ich eine Anzeige auf Facebook gestellt habe, dass ich Familien aufnehme, gab mein Telefon keine Ruhe mehr. Ich habe mich gefühlt wie Frau Merkel (lacht).

Das muss auf Dauer sehr anstrengend gewesen sein, oder?

Klar war das anstrengend. Aber ich habe durchgehalten. Kein Bock? Gab‘s nicht. Keine Zeit? Gab’s nicht. Bei mir gab es nur ‹ich muss›. Ich habe diesen Weg angefangen und musste ihn auch zu Ende gehen. 2017 habe ich den Campingplatz gekauft und musste lange für einen Kredit kämpfen, um mir das leisten zu können. Auch durch Corona war die Lage schwierig. Aber was die Menschen aus der Ukraine durchmachen müssen, ist viel schlimmer. Da musste ich einfach helfen. Manche habe ich sehr ins Herz geschlossen. Da fließen Tränen, wenn die Familien ankommen, aber auch wenn sie wieder gehen. Das war auch nicht leicht. Aber es waren alle dankbar. Zum Muttertag habe ich viele Blumen und Geschenke bekommen. Die vergessen ihre Mutti nicht (lacht).


2017 habe ich den Campingplatz gekauft und musste lange für einen Kredit kämpfen, um mir das leisten zu können. Auch durch Corona war die Lage schwierig. Aber was die Menschen aus der Ukraine durchmachen müssen, ist viel schlimmer.

Rassa Hoffman räumt am Mittag Spenden in einem zentralen Wohnhaus des Campingplatzes ein. Vorher diente der Raum als Speisesaal und Kiosk. Jetzt steht er voll mit Lebensmitteln, Medikamenten und Kleidungsstücken.

Abends war es still auf dem Campingplatz in Hademstorf. Die Familien zogen sich in ihre Wohnwagen zurück.

Bei den Ämtern hat eine gesagt ‹Es reicht jetzt mit Flüchtlingen›. Ich habe ihr gesagt, dass sie das mit Vladimir Putin besprechen soll.

Kam denn Hilfe von offizieller Seite?

Ich hatte russisch in der Schule, also konnte ich auch als Übersetzerin helfen, wenn die Geflüchteten sich bei den Ämtern registrieren mussten. Die meisten Leute da waren nett, aber eine hat auch gesagt «Es reicht jetzt mit Flüchtlingen». Ich habe ihr geantwortet, dass sie das mit Vladimir Putin besprechen soll. Ich werde keine Familie wegschicken, die hier nach Hilfe sucht. Klar haben die da viel Arbeit mit Papierkram, aber ich hatte rund um die Uhr Arbeit, diese Leute zu versorgen. Die Leute haben mich oft gefragt, warum ich das mache. Ich habe gesagt, sie sollen sich mal in die Geflüchteten hineindenken. Aus dem Krieg in ein Land zu kommen, in dem man die Sprache nicht versteht. Das ist nicht leicht.

Wie sind die Familien auf dem Campingplatz zurechtgekommen?

Manche Familien kamen besser zurecht, manche schlechter. Wenn ein Hubschrauber in der Nähe geflogen ist, haben sich viele flach auf den Boden geworfen. Ein Kind hat angefangen, sich die Haare auszureißen. Außerdem war es ja noch kalt im März und im April. Aber besser in einem kalten Wohnwagen zu leben als in einem bombardierten Haus.

Leben denn jetzt, im Herbst 2023, noch Familien auf dem Campingplatz?

Nein, im Sommer sind die letzten abgereist. Manche Familien sind auch zurück in die Ukraine gefahren. Viele sind aber in der Region geblieben, nicht zu weit weg von ihrer Mutti (lacht).


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