Garagenhöfe im Osten: Das Erbe von Typ I Dresden

Die Garagen am Rande ostdeutscher Städte sind mehr als Stellplätze für Autos. Doch ihre Rolle als Werkstätten, Treffpunkte und Orte der Erinnerung an die DDR wird zunehmend hinterfragt. Von Adam Beyer (Fotos) und Finn Winkler (Text)

Wenn man erst einmal darauf achtet, entdeckt man sie plötzlich überall. In jeder größeren Stadt Ostdeutschlands sieht man sie, meist in den Randbezirken. Dort reiht sich eine graue Betongarage an die nächste. Hunderte von ihnen, gebaut nach identischen Normen. Die exakte Bezeichnung der Bauten aus DDR-Tagen lautet: Typ I Dresden. Es gibt auch Typ II Dresden, der etwas länger ist.

Fast alle Garagen haben eine hellblau angestrichene Blechtür, angeschweißt ist oft ein zusätzliches großes Schloss. So möchten die Besitzer*innen gefürchtete Diebstähle vereiteln. Die Garagen wurden allesamt in den 70er-Jahren der DDR gebaut, häufig wurden sie von den Benutzer*innen selbst errichtet. So erzählt der Architekt  Jens Casper, Co-Autor des Buches «Das Garagenmanifest» im Interview mit dem Deutschlandfunk: «Bei der Beschaffung von Materialien und der Finanzierung half die Wohnungsbaugesellschaft oder die Gemeinde. Aber die Muskelkraft oder die Arbeit tatsächlich, die wurde dann vielfach selbst erledigt.»

Nachdem sie die Garagen selbst gebaut hatten, gingen sie auch dorthin, um die Fahrzeuge zu pflegen. Denn weil es in der DDR weniger Autos gab, war auch das Reparatur-Netz viel kleiner. Und auch heute werden die einzelnen Garagen noch von denselben Leuten genutzt, die diese vor 50 Jahren gebaut haben. Das führt laut Casper zu einer besonders großen Identifikation der Menschen mit den Garagen: «Es wird gesagt, dass die Neubauten, die zur gleichen Zeit errichtet wurden, oftmals keinen Speicher oder Keller hatten, auf dem man sich austoben konnte. Das heißt, es wurden auch Aktivitäten, die normalerweise im Haus stattfinden, in die Garagen verlagert.» Es klinge erstaunlich, aber jeder, der «ostsozialisiert» sei, könne Geschichten aus den Garagenhöfen erzählen: «Bis heute wird da gefeiert und Bier getrunken und sich ausgetauscht.»

Uwe Möllentiert posiert neben seinem Trabanten. Er besitzt mehrere Garagen in Freiberg.

Doch gleichzeitig sind die Garagenhöfe inzwischen auch ein Konfliktpunkt geworden: Sie sind selten Privateigentum, häufig gehören sie den Kommunen. Und während die Garagen für manche Menschen ein Ort der Gemeinschaft sind, vielleicht auch ein Raum der Nostalgie, verbrauchen sie Platz, der auch anderweitig nutzbar wäre. So im Potsdamer Wohngebiet Stern, wo Wohnraum dringend nötig wäre oder in der Stadt Jena. Letztere beschloss laut dem MDR beispielsweise, dass 200 alte DDR-Garagen abgerissen werden sollten. An derselben Stelle werden stattdessen sogenannte «Klimaoasen» entstehen – sehr zum Unmut der bisherigen Nutzer*innen.

Doch es gibt auch einen anderen Umgang mit den Garagen: Das zeigt etwa die Stadt Chemnitz, die für das Jahr 2025 als europäische Kulturhauptstadt ausgewählt wurde. Zur Vorbereitung rief man dort fünf Flagship-Projekte ins Leben, von denen man eines den Garagenhöfen widmete. Unter dem Titel «#3000Garagen» wollte man rund um die Garagen «die persönlichen und kollektiven Geschichten sichtbar machen.» In diesem Rahmen wurde in einem der Garagenhöfe beispielsweise ein Konzert organisiert. Außerdem reisten über hundert Studierende der Hochschule München an, die die DDR-Garagen erforschten und kartografierten. Ein Aktionsprogramm mit zahlreichen Filmvorführungen, Gartenarbeiten und Kunstprojekten wurde geplant.

Für den Architekten Jens Casper sind die Garagen der Ort einer bisher noch ungeschrieben Geschichte: «Wir sehen einen Mangel darin, dass sich unsere Gesellschaft immer weiter diversifiziert und diese Diversifizierung der Gesellschaft in der Denkmallandschaft nicht abgebildet ist.» Er tritt deshalb für eine andere Form des Denkmal-Verständnisses ein: «Man kann die Garagen nicht nur als Stellplatz für die Autos betrachten, sondern sie sind eben sehr viel mehr und taugen auch für sehr viel mehr. Und wenn sie nur als automobilen Abstellort beschrieben werden, dann sind sie eigentlich unter-beschrieben.»

Die vom Fotografen Adam Beyer besuchten Garagenhöfe in Sachsen.

Moritz Lantzsch und seine Freundin posieren neben einem Golf II. Sie restaurieren gemeinsam einen alten UAZ – aktuell nicht viel mehr als ein Fahrwerk. Das Kürzel steht für Uljanowski Awtomobilny Sawod, ein Autowerk, das zur Zeit des Zweiten Weltkriegs entstand und bis heute Fahrzeuge baut.

Stephan Thede positioniert für ein Portrait auf dem Dachboden der Scheunengarage, welche er sich mit mehreren Freunden teilt. Hier in Munzig an der Munziger Hauptstraße, 01665 Klipphausen nutzen sie den Raum, um sich eine kleine Werkstadt aufzubauen und um sich regelmäßig auch einfach so zu treffen.

Stephan Thede auf dem Dachboden der Scheunengarage, die er sich mit mehreren Freunden teilt. Hier nutzen sie den Raum, um sich eine kleine Werkstatt aufzubauen.

Herr Brösel ist Mitglied einer Garagengemeinschaft in Dresden. Zu seinen Aufgaben gehört die Reinigung des Platzes.

Fabrikstraße, Nossen

Das Reparaturhandbuch für den UAZ von Moritz Lantzsch stammt noch aus Sowjetzeiten.

Ein Garagenbesitzer posiert für ein Porträt neben seinem Heizpilz in seiner Garage an der Salzburger Str., 01279 Dresden, fotografiert von Adam Beyer.

Ein Garagenbesitzer inmitten von Autozubehör und Reifenstapeln. Oft trifft man sich auch mit Familie und Freunden, dann spielen die Kinder in den Garagen und den Gassen davor.

Garagenbesitzer Tobi lehnt an seinem Auto. Er parkt hier regelmäßig auf dem Garagenhof. Der Wartburg in der Garage dahinter gehört ihm ebenfalls. Fotografiert von Adam Beyer

Tobi lehnt an seinem Auto. Er parkt hier regelmäßig auf dem Garagenhof. Der Wartburg in der Garage dahinter gehört ihm ebenfalls. Er hat ihn nach der Flut 2002 gekauft und wieder hergerichtet. Ihm gehören gleich mehrere Garagen auf diesem und zwei anderen Höfen.

Tom (links) und ein Freund von ihm (rechts) stehen in ihrer Garage und quatschen, auf dem Garagenhof an der Wiesbadener Straße, 01159 Dresden. Sie nutzen diesen Raum hauptsächlich um an ihren Fahrrädern zu schrauben.

Tom (links) unterhält sich am Garagentor mit einem Freund. Sie nutzen den Raum hauptsächlich, um an ihren Fahrrädern zu schrauben.

Tom versucht, mit einer Bohrmaschine die Ösen an seiner Dresdener Garage auszubohren, damit er ein klemmendes Schloss daran befestigen kann.

Eine Mutter und ihr kleiner Sohn warten, während deren Nachbar (nicht Garagennachbar) ihrem Auto Winterreifen aufzieht. Die Mutter dreht sich gerade eine Zigarette. Ort: Salzburger Str., 01279 Dresden ; Foto: Adam Beyer

Mutter und Kind warten, während der Nachbar ihrem Auto Winterreifen aufzieht.

Man sieht eine Aufnahme des menschenleeren Garagenhofes an der Wiesbadener Straße in Dresden, fotografiert von Adam Beyer

«Man kennt sich, ist gemeinsam im Verein, trinkt auch mal ein Bier zusammen oder hilft einander bei Reparaturen.»


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