Nebenan in Rosengård
Im Osten Malmös erstreckt sich Rosengård, einst gebaut als Antwort auf Schwedens Bevölkerungsboom. Doch 60 Jahre später stehen solche Großwohnsiedlungen im Fokus sozialer Debatten. Von Nora Schwarz (Fotos, Interview-Protokolle), Jana Finze und Laura Riedner (Text)
Rund 34.000 Menschen leben in Rosengård, einem Stadtteil im Osten Malmös. Die Großwohnsiedlung entstand vor rund 60 Jahren, um das damals starke Bevölkerungswachstum Schwedens abzufangen. Heute gelten viele dieser Wohnsiedlungen als soziale Brennpunkte. Auch Rosengård.
Die schwedische Polizei zählt Rosengård zu den «besonders gefährdeten Gebieten». Diese sind durch schwierige sozioökonomische Bedingungen und hohe Kriminalität gekennzeichnet. Das durch soziale Ausgrenzung geprägte Viertel erfährt in vielen anderen Teilen Schwedens eine negative öffentliche Wahrnehmung.
Die in Hamburg lebende Fotografin Nora Schwarz besucht seit Sommer 2022 regelmäßig den Bezirk. In einem Café haben wir uns mit Nora getroffen. Sie erzählt uns von ihren Eindrücken des Viertels, der Bewohner*innen und des Zusammenlebens. Neue Perspektiven und einen offenen Blick abseits vom negativen Stigma – das verfolgt Noras Projekt.
Die junge Generation Rosengårds
Gerade die jüngere Generation macht einen Großteil der Einwohner*innen Rosengårds aus. Ein Drittel der Bewohner*innen sind unter 18 Jahre alt, im Bezirksteil Herrgården sind es sogar fast die Hälfte. Das ist vor allem nach der Schule bemerkbar, wenn die Kinder sich draußen zum Spielen treffen. Die Grünflächen, umrahmt von Wohnblöcken im Herzen Rosengårds, bieten dafür viel Platz. Auch in den Sommerferien gibt es für die Kinder viele Programme und Aktivitäten, die von verschiedenen gemeinnützigen Organisationen ermöglicht werden. Die Kinder frühstücken gemeinsam, basteln, treiben Sport und nehmen an Kunst-Workshops teil.
Das Miteinander und die gegenseitige Unterstützung hebt auch die 24-jährige Fatme im Interview mit Nora hervor. Die gelernte Sozialarbeiterin Fatme wohnt selbst in Rosengård und erklärt: «Rosengård ist kein Ghetto. Wir haben viel Liebe, die Menschen nehmen sich gegenseitig wahr und viele wollen ihr Leben ändern. Aber wer spricht schon über deren Geschichten?» Fatme weiß außerdem, dass viele der hier lebenden jungen Erwachsenen studieren und einen guten Beruf ergreifen möchten. Einige sind jedoch weggezogen, weil sie in Rosengård an Grenzen gestoßen sind, durch die sie sich nicht mehr weiterentwickeln konnten.
Egzona ist Mutter von zwei Kindern, die den Kindergarten in Rosengård besuchen. Sie selbst ist in Dänemark geboren und aufgewachsen und zog 2016 mit ihrem Mann und Kindern nach Rosengård. Sie äußert Bedenken für die Zukunft ihrer Kinder. Solange ihre Kinder klein sind, sei Rosengård zwar ein guter Ort für Familien. Doch Egzona möchte, dass ihre Kinder später in einem anderen Teil von Malmö zur Schule gehen, wo sie eine bessere Ausbildung mit besseren Möglichkeiten erhalten. Auch der Gemeindepolizist Johannes erklärt Nora: «Aufgrund des belasteten Rufs und der Kriminalität des Viertels wollen gute Lehrkräfte meist lieber woanders arbeiten».
Sicherheit in Rosengård
Die Aufgabe der Gemeindepolizei ist es, die Bewohner*innen kennenzulernen und ihr Vertrauen zu gewinnen. In Rosengård kennen sich viele Gemeindepolizist*innen und Einwohner*innen persönlich. Besonders die Jugendlichen sind der Gemeindepolizei ein Anliegen: Es soll ein hoffnungsvoller Blick in ihre Zukunft vermittelt werden, eine Alternative zum Weg in die Kriminalität. Ein großes Vertrauensproblem gegenüber der Polizei bestehe aber nach wie vor, berichtet Polizist Johannes, der seit 2008 in Rosengård arbeitet.
Vieles hat sich ins Positive verändert. Doch es braucht Zeit. Langsame Veränderungen – darüber berichten Medien meist nicht. Stattdessen prägten in der Vergangenheit hauptsächlich negative Berichte das mediale Bild des Stadtteils. Denn Rosengård hatte vermehrt mit Gewalt- und Bandenproblemen zu kämpfen. Schlagzeilen über die steigende Mordrate und No-Go-Areas machten den Ort bekannt.
Doch Rosengård bleibt nicht stehen. In den letzten Jahren wurden verschiedene Programme ins Leben gerufen, um die Sicherheit in Rosengård zu gewährleisten. Darunter ist auch das Programm Sluta skjut, etwa «Hört auf, zu schießen», das darauf abzielt, Schießereien und schwere Gewalt zwischen kriminellen Gruppen zu verhindern.
Die Sicht von außen
«Rosengård ist wie eine Tätowierung, die man trägt. Es ist eine Bezeichnung dafür, dass man nicht schwedisch ist. In jeder Stadt in Schweden gibt es ein Rosengård. Rosengård ist eine Person: Ich bin Rosengård, du bist Rosengård, die sind Rosengård. Die Schweden sind sehr vorsichtig. Woher kommst du? Das ist eine sehr häufige Frage, die man hier gestellt bekommt, und sie bringt das Gefühl mit sich, fremd zu sein.» Das erklärt der 24-jährige Abdula Nora in einem Interview. Er selbst wohnt in Rosengård, arbeitet für Save the Children und ist Gründer des Unternehmens Made in Rosengård. Das Ziel ist es bei Made in Rosengård, junge Menschen für das Unternehmertum zu ermutigen.
Für die Einwohner*innen ist es schwierig, aus dem negativen Stigma herauszukommen, wenn das Zuhause in der Außenwelt größtenteils als «Problemviertel» bekannt ist. Sobald die Menschen wissen, woher man kommt, ist das Tattoo nicht mehr zu verstecken. Auch von der Politik fühlt sich der Großteil der Rosengårder Einwohner*innen nicht richtig aufgefangen. Wenn junge Menschen in der Kriminalität viel Geld verdienen können, müssen Politiker*innen bessere Chancen bieten, findet Abdula.
Leben mit Vielfalt
Ein Großteil der Einwohner*innen Rosengårds stammt aus muslimisch geprägten Ländern, weshalb sich das Viertel durch eine große multikulturelle und ethnische Vielfalt auszeichnet.
Die 28-jährige Halimo ist Sozialarbeiterin und in Rosengård zu Hause. Außerdem ist sie Projektleiterin bei Rosengård Roasters. Die Einrichtung fördert die demokratische Partizipation in Rosengård und unterstützt Bewohner*innen dabei, für die eigenen Rechte einzustehen. Der Verein geht aktiv gegen Diskriminierung und Rassismus vor. «Vor allem viele Mütter nehmen unser Angebot an. Durch die Workshops werden sie selbstbewusster und stärker», erzählt Halimo.
Das Zusammenleben ist den Bewohner*innen Rosengårds besonders wichtig. Vor allem in den Sommermonaten versammeln sich viele Menschen, um draußen zusammen zu sein und zu feiern. Essen, Getränke und Unterhaltung für Kinder und Jugendliche kommen hierbei nicht zu kurz.
Das Rosengård der Zukunft
Wie kann ein Rosengård der Zukunft aussehen? Das Viertel bewegt und verändert sich. Doch auch heute herrschen weiterhin Probleme in Rosengård: Junge Menschen haben immer noch nicht dieselben Möglichkeiten wie Gleichaltrige aus anderen Gebieten. Die Arbeitslosenquote ist weiterhin hoch. Vor diesen Probleme stehen die Bewohnerinnen, die ihr Zuhause durch vielseitiges Engagement zu etwas Schönem formen. Doch oft scheint das einfach nicht zu genügen. Wie viele Bewohner*innen Rosengårds finden auch Halimo und Abdula, dass für die bestehenden Probleme in Rosengård Lösungen gefunden werden müssen. Besonders auf politischer Ebene. Im Interview schließt Halimo mit einem Bild: «Die Menschen hier klopfen an viele Türen und hoffen, dass sich eine für sie öffnen wird.»
In den warmen Monaten finden viele Treffen und Feiern draußen in den Parks von Rosengård statt – mit Essen, Getränken und Unterhaltung für die Kinder und Jugendlichen. Das Gemeinschaftsleben spielt in Rosengård eine große Rolle.