Wenn die Kontrolle entgleitet
Die Autorin Laura Schepers kann viele alltägliche Aufgaben nur mit Mühe bewältigen. Jahrelang glaubt sie, sich einfach mehr zusammenreißen zu müssen. Dabei gibt es eine einfache Erklärung für ihre Aussetzer.
Foto: Philipp Jackwerth
Ich stehe in der Küche, es riecht komisch, plötzlich raucht es auch. Das Öl ist angebrannt. Schnell reiße ich alle Fenster auf, sodass der Qualm herausziehen kann. Das ist gerade nochmal gut gegangen. Später dann wieder, es riecht übel, ich stelle fest, dass der Reis schon lange kein Wasser mehr hat, in dem er kochen könnte, der Topfboden ist pechschwarz. In diesem Moment betreten jene Menschen die Wohnung, für die ich nun zwei geschlagene Stunden in der Küche stand. Das Curry ist eigentlich fertig, aber halt jetzt ohne Reis, anders als ich es geplant hatte.
Das sind die Momente, wo sie mich überkommt: eine Wut die ihres Gleichen sucht. Eine ganze Ladung an Emotionen die über mich herabfällt, und ich, unfähig diese zu regulieren. Dass diese Dinge wie z.B. Zeit Blindheit, Symptome einer Behinderung sind wusste ich 23 Jahre meines Lebens nicht. Ich dachte stets, ich hätte mich nicht genug im Griff, müsste mich einfach mehr zusammenreißen. Andere schaffen es doch auch.
ADHS nennt sich das Ganze, und findet gerade mehr und mehr Gehör seit bekannt ist, dass sie auch Frauen betreffen kann und sich im Erwachsenenalter eben nicht «rauswächst». Kommentare wie «Stell dich nicht so an», «Hast du das schon wieder vergessen?», oder «Hör auf zu träumen!» sind da keine Seltenheit. Situationen, wie ich sie oben beschrieben habe, passieren mir ständig. Ich vergesse viel, habe große Schwierigkeiten mich selbst zu regulieren und bin innerlich unruhig, kann äußere Reize nur schwer filtern. Das hat schon oft dazu geführt, dass sich mein Leben außer Kontrolle angefühlt hat. Tägliche Aufgaben kann ich nur mit Mühe bewältigen, die Anderen wiederum ganz leicht fallen. Bis heute nagt das stark an meinem Selbstwertgefühl.
Ich stehe also niedergeschlagen in der Küche, in mir brodelt es. Ich erinnere mich an den Satz, den eine Therapeutin mal zu mir gesagt hat: «Jetzt haben ja alle auf einmal ADHS, das ist ja jetzt eine Modediagnose geworden.» Ich schmeiße den Reis weg, lege den Topf zum Einweichen in die Spüle. Modisch fühle ich mich dabei nicht und hätte ich tatsächlich die Wahl, dann hätten wir schon längst gegessen. Und zwar Curry mit Reis.