Anne de Walmont: Sieben Monate allein auf der Vogelinsel

Die Naturschutzwartin über Einsamkeit im Wattenmeer, Greifvögel auf dem Klo und die Gefahr steigender Wasserstände. Von Moritz Hartenstein (Interview) und Etienne Dötsch (Fotos)

Die Ornithologin Anne de Walmont schaut durch ihr Spektiv in Richtung Wattenmeer.

Expert*innen wie Anne de Walmont erfassen zum Schutz des Wattenmeeres regelmäßig Daten über die Auswirkungen des Klimawandels. Das Gebiet, ein zentraler Punkt des Ostatlantischen Vogelzugs, wird im Herbst und Frühjahr zur Heimat von etwa 12 Millionen Vögeln und beherbergt auch über den Winter viele ständige Vogelbewohner. Dies unterstreicht die Notwendigkeit eines umfassenden Monitorings, um dieses bedeutende Biosphärenreservat zu bewahren.

Anne de Walmont, die nach ihrem Abitur ein Freiwilliges Ökologisches Jahr auf der Insel Pellworm absolvierte, wandte sich zunächst dem Studium der Musikwissenschaft und Skandinavistik zu. 2019 fand sie zurück zur Vogelkunde und engagierte sich als Naturschutzwartin auf der Insel Trischen, wo sie die Vogelwelt dokumentierte und ihre Erlebnisse in einem Buch festhielt. Heute arbeitet sie als selbständige Ornithologin.

Die Ornithologin Anne de Walmont schaut durch ihr Spektiv um Vögel zu zählen.

Die Ornithologin Anne de Walmont an der Nordseeküste in der Nähe von Wremen.

Die Natur macht, was sie will, und man muss sehen, wie man damit umgeht.

Kannst du dich an eine besonders prägnante Situation während deiner Zeit auf der Insel Trischen erinnern?

Da fallen mir zwei Sachen als Erstes ein. Mein Klo war ein Bretterverschlag und an einem stürmischen Tag wollte ich da rein. Die ganze Insel war wie leergefegt, alle Vögel haben sich vor dem Wind versteckt. Und dann bog ich um die Ecke und da saß ein Greifvogel – ein Sperber – auf dem Klodeckel und hat sich vollkommen erschrocken und ich habe mich auch erschrocken. Er ist mir dann fast ins Gesicht geflogen. Da muss man erstmal auf so eine Insel, um einem Greifvogel so nahe zu kommen (lacht). Dann war es einmal so, dass ich sehr weit im Norden der Insel unterwegs war. Auf Trischen gibt es keine Bäume und ich habe gesehen, dass eine dunkle Wolke am Himmel war. Das Gewitter sollte zwar laut Wetterbericht woanders hinziehen, auf einmal war es der Insel aber sehr nah. Da blieb mir nichts anderes übrig, als mich hinter eine Düne zu hocken, die ja nicht gerade hoch ist. Ich hatte Glück, es zog gerade so an mir vorbei. Aber da habe ich gemerkt, wie ausgeliefert man einfach ist. Die Natur macht, was sie will, und man muss sehen, wie man damit umgeht. Das sind Momente, die mir sehr in Erinnerung geblieben sind.

Was waren deine Aufgaben?

Auf jeden Fall war die Dokumentation der Vogelwelt meine Hauptaufgabe. Es waren verschiedene Erfassungsprogramme. Ich habe etwa morgens bei Sonnenaufgang häufig – vorwiegend zu den Hauptzugzeiten im Frühling und im Herbst – die Zugvögel erfasst. Alle zwei Wochen fand dann eine Springtidenzählung statt, bei der alle Vögel gezählt werden, die bei Hochwasser auf der Insel rasten. Die Brutvögel wurden dann im Frühjahr kartiert. Und ich habe permanent Zufallsbeobachtungen aufgeschrieben. Neben diesem ganzen Vogelkundlichen habe ich zum Beispiel auch das Watt stichprobenmäßig kartiert. Ich habe die Insel vermessen, weil sie nicht befestigt ist und sich immer weiter auf das Festland zubewegt. Sie verliert an Größe und an Form. Es war auch meine Aufgabe, zu verhindern, dass andere Menschen auf die Insel kommen, weil Trischen in der Schutzzone des Nationalparks liegt. Außerdem habe ich regelmäßig auf einem Internet-Blog des Naturschutzbundes Deutschland, kurz NABU, darüber berichtet, was auf der Insel so los ist.

Der Blick durch das Spektiv zeigt einige Vögel, die am Wasser sitzen.

Ich habe immer gesagt, was ich auf der Insel vermissen werde, ist ein Eiskaffee.

Was war das Erste, das du gemacht hast, als du wieder auf dem Festland warst?

Ich habe immer gesagt, was ich auf der Insel vermissen werde, ist ein Eiskaffee. Ich trinke unglaublich gerne Kaffee und im Sommer Eiskaffee. Ich hatte dort leider keine Gefriermöglichkeit. Allerdings bin ich im Herbst zurückgekommen, da war die Verlockung nicht mehr so groß. Ich bin erst an die Küste aufs Dorf gefahren, um langsam wieder anzukommen. Zwei, drei Tage später war ich aber wieder in der Stadt auf einem Geburtstag mit 50 Leuten, das war kein Problem. Das war ein schönes Erlebnis, zu merken, dass ich direkt wieder unter Leute gehen kann und nicht völlig einsiedlerisch geworden bin. Es war eigentlich, als wäre ich nie weg gewesen.

Alle zwei Wochen zählst du ehrenamtlich die Vögel am Küstenabschnitt bei Wremen, dem Dorf, wo du gebürtig herkommst. Warum ist es wichtig, die Vogelbestände zu dokumentieren?

Diese Wat- und Wasservogelzählungen werden schon seit ganz vielen Jahren gemacht und dadurch, dass eine solche lange Datenreihe vorliegt, kann man gut sehen, wie sich die Bestände der einzelnen Vogelarten entwickeln. Das ist für die Forschung interessant und kann auch Grundlage sein, um darüber zu sprechen, wie bestimmte Vogelarten geschützt werden oder wie es überhaupt um das Wattenmeer bestellt ist. 

In ihrer Hand hält Anne de Walmont einen kleinen Zähler für die Vogelzählung.

In ihrem Auto notiert Anne de Walmont die Art und Anzahl der Vögel.

Das Wattenmeer definiert sich dadurch, dass es zweimal am Tag trockenfällt. Wenn die Wasserstände steigen, sind es weniger Flächen, die trocken fallen, und dementsprechend weniger Flächen für die Vögel, um Nahrung zu suchen.

Inwiefern macht sich der Klimawandel auch in deiner Arbeit bemerkbar? 

Es wird immer schneller sichtbar, welche Folgen der Klimawandel hat. Die Meeresspiegel steigen. Das Wattenmeer definiert sich dadurch, dass es zweimal am Tag trockenfällt. Wenn die Wasserstände steigen, sind es weniger Flächen, die trocken fallen, und dementsprechend weniger Flächen für die Vögel, um Nahrung zu suchen. So wird dann eine ganze Kettenreaktion in Gang gesetzt. Oder das Meer wird wärmer, wodurch sich hier Arten wohlfühlen, die hier eigentlich nicht heimisch sind, und andere Arten, die hier vorher heimisch waren, fühlen sich hier nicht mehr wohl und ziehen woanders hin. Dadurch findet eine Verschiebung statt, die auch eventuell ein Gleichgewicht aus den Fugen geraten lassen kann. 

Zum Schluss: Hast du eigentlich einen Lieblingsvogel?

Die Frage wird häufig gestellt (lacht). Früher habe ich immer gesagt, dass die Eiderente mein Lieblingsvogel ist. Das ist eine sehr große, kräftige Meeresente. Ich finde die vor allem so schön, weil die Männchen im Übergang zwischen Pracht- und Schlichtkleid alle unterschiedlich aussehen. Das finde ich besonders. Die Weibchen machen auch tolle Geräusche. Die können «tuckern wie ein Trecker», zumindest steht es so im Vogelbestimmungsbuch. Aber natürlich sind alle Vögel ganz toll!

Viele Vögel sitzen auf Steinen, die künstlich am Ufer angelegt wurden.


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