Die leisen Klimaretter
Moore speichern gigantische Mengen Kohlenstoff und rücken daher immer stärker in den Fokus von Klimaforschern. Jonas Dengler traf vier Menschen, die aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema blicken.

1. Moor kann man nicht essen.
Svenja Schlüter (28) übernahm vor zwei Jahren den Milchhof ihrer Familie im niedersächsischen Fahrendorf auf einer Moorhöhe. Ihre Vorfahren begannen Mitte des 19. Jahrhunderts als Selbstversorger. Um sich etwas dazu zu verdienen, stachen sie Torf. Im Laufe der Generationen kamen Pferde- und Schweinehaltung hinzu.
Heute betreibt Svenja Schlüter den Hof mit ca. 150 Kühen größtenteils alleine. Als sie den Hof übernahm, wollte sie einen neuen Stall bauen, um das Tierwohl zu verbessern. Doch sie zögerte wegen der Unsicherheit der Moorflächenbewirtschaftung. Die von ihr bewirtschafteten Flächen könnten in Zukunft wiedervernässt werden. Dadurch ist es ungewiss, ob sie den Kredit für einen neuen Stall zurückzahlen könnte. Sie investierte stattdessen in einen Melkroboter.
Viele Moorlandwirte in Niedersachsen stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Klimaschutz erfordert Moorrenaturierung. Für wiedervernässte Moore gibt es aber noch keine erprobten Bewirtschaftungskonzepte. Es ist für die Lebensmittelproduktion ungeeignet und Austauschflächen stehen oft nicht zur Verfügung. Wasserbüffel und Photovoltaik sind Optionen, aber eben nicht für alle. Andererseits ist die Landwirtschaft auf Moorflächen endlich, denn der Torf zersetzt sich immer weiter und die Höfe sinken ab. Ist der Torf verschwunden, ist der Boden kaum mehr fruchtbar.
Hintergrund: Moore und Klimawandel
Moore entstehen dort, wo mehr Wasser in eine Fläche gelangt, als verdunsten oder abfließen kann. Das Besondere an ihnen sind die Torfböden, die entstehen, indem abgestorbene Reste bestimmter Pflanzen sich unter Wasser verdichten. Dieser Vorgang geschieht sauerstoffarm, wodurch Zersetzungsprozesse ausbleiben. Nasse Moore sind Kohlenstoffspeicher, doch werden sie trockengelegt, geben sie klimawirksames CO₂ an die Umwelt ab, da sich der Torf an der Luft zersetzt.
Viele Jahrhunderte lang galt Moor als unbetretbar, gefährlich und als „Fehler der Natur“, da es unbestellbares Land war. Diesen „Fehler“ glaubte man ab dem 17. Jahrhundert zu beheben, indem man begann, die Flächen zu kultivieren. Zunächst durch den Moorbrand, später dann durch systematische Entwässerung. So konnte man zwar die Flächen nutzbar für Landwirtschaft und Torfabbau machen, verwandelte aber – ohne es zu wissen – große Kohlenstoffspeicher in CO₂-Quellen.
In Niedersachsen entweichen aktuell etwa 17 % der gesamten CO₂-Emissionen trockengelegter Moore. Um die Klimaziele zu erreichen, müssten in Deutschland jährlich 50.000 Hektar Moor wiedervernässt werden. Denn bedeckt man den Torf mit Wasser, stoppt die Zersetzung und es wird kaum mehr CO₂ emittiert. Dies hat auch die Bundesregierung verstanden und verabschiedete 2022 die nationale Moorschutzstrategie, die für einen besseren Moorschutz sorgen soll. Für Niedersachsen, das moorreichste Bundesland Deutschlands, bedeutet das einen Strukturwandel, der mit dem der Kohleindustrie vergleichbar ist.

Svenja Schlüter steht im Tor des ältesten Teils ihres Stalls, in dem Kühe angebunden gehalten werden.

Dank des neuen Melkroboters können die Kühe selbst entscheiden, wann sie gemolken werden, und gestalten ihre individuellen Tagesabläufe. Wenn die Kuh den Roboter betritt, bekommt sie Kraftfutter, während die Melkanlage automatisch am Euter andockt.

Jede Kuh ist gechipt und wird vom Melkroboter überwacht. Dieser erhebt Daten über jede Kuh. Darunter etwa, wie oft sie schon gemolken wurde und wieviel Milch sie im Durchschnitt gibt. Früher hat Svenja Schlüter jedes Tier täglich zwei Mal im Melkstall gesehen, heute hat sie Daten und Diagramme des Melkroboters.

Ihre 150 Kühe füttert Landwirtin Svenja Schlüter mit Grassilage und Kraftfutter (Mais und Getreide). Das Gras schneidet sie selbst auf den von ihr bewirtschafteten Moorflächen, Kraftfutter kauft sie zu.

Svenja Schlüters Milchhof steht auf einer Moorhöhe. So heißen die schmalen Landstücke, die entlang der Entwässerungskanäle des Gnarrenburger Moores vergeben wurden. Der Hof ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts im Besitz der Schlüters.

Die Grassilage lagert Svenja Schlüter in folierten Heuballen hinter ihrem Hof. Sie hätte gerne eine Siloplatte bauen lassen. Doch es ist ungewiss, ob sie aufgrund von zukünftigen Wiedervernässungsmaßnahmen den Moorhof noch lange genug betreiben kann, um notwendige Kredite zu tilgen.
2. Jede Gurke braucht Torf.
Unternehmer Josef Gramann handelt mit Torf und tüftelt an neuen Abbauverfahren. Torf ist nährstoffarm, keimfrei, locker strukturiert, speichert viel Wasser und ist daher für die Jungpflanzenanzucht im Gartenbau unverzichtbar.

Gramoflor entwickelte in einem Forschungsprojekt mit der Uni Kiel ein Verfahren, bei dem unter anderem moortypische Moose gezüchtet und anschließend in die wiedervernässten Flächen eingetragen werden. So soll sich schneller ein aktives Moor bilden.
Josef Gramann ist Geschäftsführer der Firma Gramoflor, die 1908 als Torfhandelsgesellschaft im Landkreis Vechta, Niedersachsen, gegründet wurde. Ursprünglich als Brennmaterial genutzt, gewann Torf ab dem 20. Jahrhundert im Gartenbau an Bedeutung. Durch seine Eigenschaften, keimfrei, nährstoffarm und von lockerer Beschaffenheit zu sein, eignet er sich hervorragend, um junge Pflanzen anzuziehen. Der professionelle Gartenbau ist ein hocheffizientes Gewerbe. Substrate sind exakt mit Bewässerungsanlagen und Düngeintervallen abgestimmt, um in einer bestimmten Zeit exakt gleichweit entwickelte Pflanzen zu erhalten.
Politisch ist das Ende des Torfabbaus in Deutschland beschlossen, doch die Branche zögert bei der Umstellung. Gramoflor experimentiert zwar mit Torfersatzstoffen wie Kokosfaser, doch die neuen Substratmischungen stellen den Gartenbau vor Herausforderungen, da sie ihre Anlagen neu kalibrieren müssen, was erstmal Verluste bedeutet.
Gramoflor torft nur noch landwirtschaftlich genutzte Moorflächen unter strengen Regeln ab, darunter Wiedervernässungsauflagen. Ihr eigenes Abtorfungsverfahren, das Ober-Unterfeld-Verfahren, ermöglicht parallele Abtorfung und Wiedervernässung. Die abgetorften Gebiete emittieren somit weniger CO₂, da sie direkt wiedervernässt werden. Durch das Einbringen von moortypischer Vegetation versucht Gramoflor, aktive Moore zu schaffen, die zu CO₂-Senken werden können. Der Prozess dauert je nach Fläche mehrere Jahrzehnte. Gramoflor züchtet die benötigten Moose in einer eigenen Anlage und forscht im Versuchsgewächshaus an neuen Substratmischungen.

Das Ober-Unterfeld-Verfahren ermöglicht es, eine Fläche nach Abtorfung schneller wiederzuvernässen. Im Hintergrund ein Abtorfungsgebiet, weiter vorne erkennbar wiedervernässtes Gebiet mit angesiedelter Moortypischer Vegetation.

Jede Firma, die bei Gramoflor Substrate kauft, erhält ihre eigene Rezeptur, die auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten ist.

Heutige Gartenbaubetriebe sind auf maximale Effizienz ausgerichtet. Pflanzen müssen exakt zur gleichen Zeit gleich groß werden. Hierfür sind Torferden nahezu unverzichtbar.

Etwa vier Jahr wächst das Torfmoos im Tank. Anschließend wird die obere Haube abgetrennt und in durchlässigen Kisten in einem Wasserbad vermehrt, bis das Moos in die zu renaturierenden Flächen ausgesetzt wird.

Hier werden neue Substratmischungen – zum Beispiel mit Torfersatzstoffen – in kleinen Versuchsreihen getestet.

Die Firma gräbt den Torf auf den meisten Flächen mit einem gewöhnlichen Bagger ab und verzichtet auf das klassische Torfstichverfahren.
3. Bäume sind ein schlechtes Zeichen.
Für die Forscherin Carla Welpelo ist klar: Gesundes Moor ist so nass, dass Bäume auf ihm nicht wachsen. Es gibt in Niedersachsen aber zahlreiche Wälder auf Mooren – sie sind also zu trocken.

Carla Welpelo reinigt die Messgeräte auf dem „Eddy-Turm“ im Lichtenmoor. In einem Hightech-Verfahren werden hier Luftwirbel gemessen, anhand derer unter anderem der CO2-Austausch zwischen Luft und Moor abgeleitet werden kann.

Ein Pegelrohr ist eine hohle Stange, die tief in den Boden gelassen wird, in die nur von unten Wasser eindringen kann. Öffnet man sie am oberen Ende, kann man den Pegelstand des Gebietes ablesen.

Carla Welpelo auf einer bereits 1984 nach Torfabbau wiedervernässten Moorfläche im Gebiet „Weißer Graben“ im Lichtenmoor nahe Niendorf an der Weser.
Wie wirken sich Bäumen und Gräsern auf die Wasser- und Kohlenstoffhaushalte wiedervernässter Moore aus? Dieser Frage geht die Forscherin und Doktorandin am Thünen-Institut Carla Welpelo in ihrem Projekt nach. Sie forscht auf zwei in den 1980ern renaturierten Flächen im Naturschutzgebiet «Weißer Graben» im Lichtenmoor bei Niendorf.
Das Herzstück des Projekts sind zwei „Eddytürme“. Sie bestehen aus jeweils einem Gerüstturm, an dem Sensoren angebracht sind, mithilfe derer der Gasaustausch zwischen Moor und Umgebungsluft gemessen werden kann. In Kombination mit Umweltdaten wie Niederschlagsmenge, Pegelstand, Temperatur und Wachstum der angrenzenden Vegetation lassen sich Prognosen darüber treffen, wie erfolgreich eine Wiedervernässungsmaßnahme bezogen auf die Kohlenstoffspeicherung ist.
Auf vielen trockengelegten Mooren wachsen heute Wälder, typischerweise Birken. Große Pflanzen wie Bäume, aber auch bestimmte Gräser vergrößern durch ihre Blätter die Oberfläche, wodurch Wasser verdunstet. Sie entziehen also dem Moor das Wasser, das so dringend benötigt wird, um die Torfschichten zu bedecken, damit sich diese nicht weiter zersetzen können.

Ein Eddy-Turm besteht im Kern aus zwei Messgeräten, dem Ultraschallanemometer und dem Analyzer. Zusammen können sie den Gasaustausch zwischen Moor und Luft erfassen.
4. Mit dem Spaten durch die Geschichte.
Gero Jahns sammelt Bodenproben aller Moore in Niedersachsen, um im Auftrag des Landesamts Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) eine umfassende Moorkarte anzufertigen.

Verschiedene Schichten im entnommenen Torfboden weisen auf unterschiedliche Nutzungen und Entwicklungen hin. Vormals landschaftlich genutzte Flächen sind an der Obelfäche oft stark zersetzt, da durch das wiederholte Pflügen und Düngen viel Sauerstoff in den Torf eingetragen wurde.

Mit Bodenproben zieht der Experte Rückschlüsse auf die Entwicklung und die Menge des gespeicherten Kohlenstoffs.

Torf wächst mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 1 Millimeter pro Jahr. Daher lässt sich an an der Dicke der Torfschicht (Torfmächtigkeit) das Alter des Moores bestimmen.
Gero Jahns untersucht den Torf aller Moore in Niedersachsen im Auftrag des Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG). Im Rahmen des Projekts «Großflächige Kartierung kohlenstoffreicher Böden in Niedersachsen» führt er Bohrungen in den Torfboden durch, beispielsweise mit einer Klappsonde, und analysiert anschließend die verschiedenen Schichten und die Gesamtdicke, auch Tormächtigkeit genannt.
Das Ziel des Projektes besteht in der Kartierung aller Moorböden und der Zusammenführung dieser Informationen. Dabei soll festgestellt werden, bei welchen Flächen eine Wiedervernässung sinnvoll ist und wie viel CO₂ dabei potenziell eingespart werden kann.
Torf bildet sich durchschnittlich mit 1 Millimeter pro Jahr und die Zersetzungsgeschwindigkeit in trockengelegten Mooren beträgt etwa 1 Zentimeter pro Jahr. Das bedeutet: Torf aus 3,5 Metern Tiefe ist 3.500 Jahre alt. Mit Bodenproben lassen sich Rückschlüsse auf die Entwicklung und die Menge des gespeicherten Kohlenstoffs ziehen.

Um den Zustand des Torfes exakt bestimmen zu können, bedarf es großer Erfahrung. Kleinste Pflanzenfragmente aus vergangenen Jahrhunderten bis Jahrtausenden müssen gefunden und eingeordnet werden.

Bei der Quetschprobe wird ein etwa hühnereigroßes Stück Torf in der Hand zerquetscht. Anhand dessen, was zwischen den Fingern hervortritt (von klarem Wasser bis schwarzem Sediment), kann der Grad der Zersetzung des Torfbodens festgestellt werden.
