Wie Najiba zur ersten afghanischen Dragqueen wurde

Aufgewachsen in einer konservativen afghanischen Familie, wird Najib wegen seiner queeren Identität misshandelt. Heute setzt er sich als Najiba für die LGBTQIA+-Gemeinde ein. Von Marlin Helene (Text) und Armina Ahmadinia (Fotos)

Februar 2023, Hamburg, Dragqueen Najiba, gesehen in Nahaufnahme durch einen Schminkspiegel

Najib verspürt schon als Kind in Kandahar den Wunsch, Kleider zu tragen und sich zu schminken. «Ich wollte wie eine Bollywood-Schauspielerin aussehen», erinnert sich Najib. Als seine Eltern das mitbekommen, schlagen sie ihn. «Sie wollten, dass ich wie mein Vater werde: Stark und dominant.»

Diskriminierung und Gewalt aufgrund seiner queeren Identität begleiten Najib auch in der Schule. Schikane und Feindseligkeit zwingen ihn letztlich dazu, seine Heimat im Alter von nur 11 Jahren zu verlassen. Auf der Flucht wird Najib entführt und zweimal inhaftiert. «Mein Vertrauen in Menschen wurde zerstört», erzählt er.  Erst nach anderthalb Jahren erreicht er sein Ziel: Deutschland.

Durch die Flucht habe er viel dazugelernt und sei stärker geworden, so Najib. Er berichtet aber auch von Depressionen und Suizidgedanken, die der gesellschaftliche Druck auf ihn ausgelöst haben. Damit ist er nicht allein: Laut einer Studie des portugisischen Psychologenverbandes OPP aus dem Jahr 2021 sind queere Jugendliche dreimal so häufig von Selbstmord bedroht, besonders wenn ihre Familien sie nicht akzeptieren. Najib überlebt hauptsächlich dank der Hilfe aus der Community und einer Therapie.

Wenn Menschen mich hier auf der Straße mit Make-up oder High Heels sehen, dann sind sie geschockt und starren, spucken mich an oder schlagen mich.

In Deutschland erlangt er sein Abitur und absolviert Berufsausbildungen, um schließlich als Pflegefachmann im Krankenhaus zu arbeiten. Während er versucht, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden, unterdrückt er weiterhin einen Teil seiner Identität. Doch eines Tages entscheidet Najib, sich so zu kleiden, wie er von anderen Menschen gesehen werden will. Er schminkt sich, trägt Kleider, tanzt.

Najib erzählt von der anfänglichen Enttäuschung über die Realität in Deutschland: Afghanische Medien hatten über ein freiheitliches Leben berichtet, doch statt auf Akzeptanz stößt er auch hier auf Ablehnung und Gewalt: «Wenn Menschen mich hier auf der Straße sehen, mit Make-up oder High Heels, dann sind sie geschockt und starren, spucken mich an oder schlagen mich», berichtet er. 

Trotzdem macht Najib weiter. Er arbeitet ehrenamtlich in einer Beratungsstelle für Queers. Als Najiba, ihrem Drag-Namen, produziert sie Videos, in denen sie aufklärt und sich für die LGBTQIA+-Community sowie für Frauenrechte in Afghanistan und im Iran einsetzt. «Drag bedeutet für mich Freiheit. Sich wohlzufühlen, Spaß zu haben und selbstbewusst zu sein. Aber Drag bedeutet für mich auch, wegzulaufen von den ganzen Problemen. Da kann ich alle Erwartungen von anderen loslassen und einfach ich selbst sein», schildert Najiba. Auf TikTok und Instagram folgen ihr mittlerweile über 200.000 Menschen.

 

Glossar

Auszug aus dem LSBTIQ-Lexikon der Bundeszentrale für politische Bildung

Geschlecht, biologisches

Im Deutschen sind mit biologischem Geschlecht (englisch «sex») alle körperlichen, geschlechtsspezifischen Merkmale gemeint. Gemeinhin wird damit eine natürliche Binarität von Mann/Frau konstruiert, die sich nach Erkenntnissen der Inter*-Forschung nicht (mehr) halten lässt.

Geschlechtsidentität

Unter Geschlechtsidentität versteht man das tief empfundene innere und persönliche Gefühl der Zugehörigkeit oder nicht vorhandenen Verbundenheit zu einem Geschlecht. Dieses kann mit dem Geschlecht, das einem Menschen bei seiner Geburt zugewiesen wurde, übereinstimmen – muss es aber nicht. Es muss außerdem nicht zeitlich stringent erfahren werden. Geschlechtsidentität manifestiert sich u.a. in der Wahrnehmung des eigenen Körpers und seiner Repräsentanz nach außen.

Geschlechtsausdruck

Die Geschlechtsidentität eines Menschen ist nicht von außen erkennbar. Geschlecht hat aber auch eine sicht- und hörbare Komponente: den Geschlechtsausdruck. Damit wird bezeichnet, wie ein Mensch sich z.B. kleidet oder spricht und so Geschlecht zum Ausdruck bringt. Häufig passiert es, dass vom Geschlechtsausdruck einer Person auf deren Geschlechtsidentität geschlossen wird. Dann gelten zum Beispiel Rock und Lippenstift als Beleg dafür, dass jemand sich feminin fühlt. Damit kann man sich jedoch leicht irren: Zum einen bedeuten ein Ohrring, ein kurzer Haarschnitt oder übereinander geschlagene Beine nicht für alle das Gleiche. Zum anderen entscheiden sich manche Menschen bewusst zum Beispiel für ein «maskulineres» Auftreten oder «eindeutigere» Kleidung, als es ihrem inneren Empfinden entspricht, um Anfeindungen oder Spott zu vermeiden. Ein Geschlechtsausdruck, der von Rollenerwartungen an Männer/Jungen und Frauen/Mädchen abweicht, ist häufig Anlass für Diskriminierung und Gewalt. Expert*innen fordern darum eine explizite Aufnahme dieses Merkmals unter die Schutzgründe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).

LGBTQIA+

Diese Buchstabenkombination, die es sowohl im englischen als auch im deutschen (LSBTQIA+) gibt, versucht möglichst viele Menschen und deren sexuelle und geschlechtliche Identitäten gesammelt zu repräsentieren. Da das nicht möglich ist, wird ein + oder * an das Ende gesetzt. Die Buchstaben stehen für Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Queer, Inter, Agender, Asexual.

Drag(queen)

Dragqueens sind – meist, nicht immer – Personen, denen bei Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, und die u.a. im Rahmen von künstlerischen Performances Weiblichkeit(en) darstellen. Beim gezielten Einsatz von Geschlechter-Zeichen geht es dabei z.T. um das Aufzeigen der Konstruiertheit von Geschlecht, aber auch teilweise um den Ausdruck eigener Identitäten. Mit Drag können Menschen jeglichen Geschlechts mit Geschlechtsausdrücken spielen. Neben Dragqueens gibt es auch Dragkings und Dragquings.


Falls du von Queerfeindlichkeit betroffen bist und/oder psychologische Unterstützung benötigst, findest du über diese Nummern Hilfe:

Telefonseelsorge (bundesweit): 0800 111011
Rosa Strippe e.V. (Bochum): 02 34 194 46
Berliner Krisentelefon: 030 390 63 10
(Bayrisches) Hilfetelefon: 0800 00 112 03
mhc e.V. (Hamburg): 040 278 778 00
queermed-deutschland.de

Du bist queer, studierst oder arbeitest an einer der Hochschulen in Hannover und bist auf der Suche nach Angeboten und Informationen für queere Menschen? Hier findest Du eine Übersicht verschiedener Einrichtungen, Gruppen, Anlaufstellen und Beratungs- und Freizeitangebote in und um Hannover sowie direkt an Deiner Hochschule. Außerdem enthält der Guide einige hochschulspezifische Informationen für Queers. Dieser Queer Guide lebt und wächst durch Euch.


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