IMAGE/CON/TEXT
Dokumentarische Praktiken zwischen Journalismus, Kunst und Aktivismus
Wie gestaltet sich das Verhältnis von Bildern und Texten? Über welche Strategien finden Texte Eingang in Bilder und von welcher Textualität zeugen diese? Inwiefern werden das Verbale und das Visuelle diskursiv und narrativ vernäht? Die Textualität der Fotografie und die damit verbundene Vorstellung, dass Bilder als Texte gelesen werden können, ist bereits seit den 70er/80er Jahren in Praxis und Theorie-Kontexten keine neue Erkenntnis. Doch in aktuellen dokumentarischen Diskursen kommt verstärkt ein Verständnis zum Ausdruck, dass das Verhältnis von visuellen und verbalen Medien als heterogenes Feld repräsentierender Praktiken zu begreifen sucht. Ausgehend von der Verwobenheit von Darstellung und Diskurs und dem Ineinandergreifen von visueller und verbaler Erfahrung, wie es u.a. W.J.T. Mitchell beschrieben hat, verstehen sie das Bild/Text-Verhältnis als eines, in dem sich die Sphären des Les- und Sichtbaren immer schon unvermeidlich vermischen. In der Kombination verschiedener Formen der Dokumentation und Zeugenschaft setzen aktuelle Projekte daher verstärkt auf Bild/Text-Kombinationen und deren Komplementarität. Dabei reflektieren sie, dass kein Dokument, kein Zeugnis von sich aus unmittelbare Evidenz vermitteln kann, sondern immer auch die Möglichkeit der Fiktion beinhaltet. Jenseits des Anspruchs an eine eindeutige Seh- und Lesbarkeit thematisieren sie ihre eigene Kontextualität als Voraussetzung von Bedeut- und Wirksamkeit. Bedeutung stellt sich für sie über jeden Publikationskontext, mit jeder Rezeption, mit jeder Les- und Sichtart her, ist nicht fix, sondern fluide, zirkuliert und migriert.
BUCH
– image/con/text
2020 erschien die Publikation «image/con/text. Dokumentarische Praktiken zwischen Journalismus, Kunst und Aktivismus». Im Zentrum stand die Frage: Wie kann, wie soll man Bildern Wirksamkeit verleihen? Die Suche nach neuen Erzählformen im Feld von Fotojournalismus und Dokumentarfotografie, die den Blick über die Grenzen des konventionellen Verständnisses der dokumentarischen Form erweitern, war ein zentrales Movens der vorangegangenen [IMAGE MATTERS]-Publikation «Images in Conflict / Bilder im Konflikt». Die Frage nach den Möglichkeiten des Dokumentarischen und der Entwicklung visueller Narrationen, die Stereotypisierungen und traditionelle Sehgewohnheiten unterlaufen, wird im Band «image/con/text» weiterverfolgt: Gerade die Textualität und Kontextualität dokumentarischer Praktiken und das Ausloten ihrer Grenzbereiche, hier insbesondere des Verhältnisses von Kunst, Dokumentation und Journalismus, stehen im Zentrum der Beiträge.
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«Gegen jenes fotoessayistische Versprechen, das ‹Leben› mit der Kamera einzufangen, versuchte ich aus dem Inneren einer Welt heraus zu arbeiten, die immer schon zum Zeichen geronnen ist», proklamierte Allan Sekula in «Photography Against the Grain» (1984). Fotografien als autonome, selbsterklärende Fenster zur Welt zu verstehen, wird weder der Komplexität unserer Wirklichkeit noch der Verschränktheit unserer Zeichensysteme gerecht. Da jede Zeugnisform, sei sie nun fotografisch oder textbasiert, für sich allein oft inadäquat bleibt, wird eine Praxis des Dokumentarischen gerade dort als fruchtbar wahrgenommen, wo sich die Repräsentationsformen ergänzen. «image/con/text» geht folglich von der Idee einer Komplementarität der Zeugnisse aus. Insbesondere journalistische Bilder nutzen und brauchen ergänzende Kontexte, um als Zeugnisse wirksam sein zu können. Bedeutung stiftende Umgebungen können hierfür durch Bildunterschriften hergestellt werden. Sie können sich aber auch durch andere Bilder oder beigefügte Dokumente ergeben. Dabei zeigt sich nicht nur ein Spannungsfeld zwischen bildlichen und verbalen Medialisierungen, vielmehr tritt auch eine mögliche Schichtung und Verschachtelung von Bedeutungsebenen zutage, die zunehmend von vielen documentary storytellers für die Narration verborgener Geschichten in Beziehung gesetzt werden.
Im Buch «image/con/text» werden Relationen von Bild und Text in aktuellen wie historisch wegweisenden Projekten insbesondere aus dem Bereich Fotobuch, aber auch in Film, Multimedia, Comic und den Erzählformen des Archivs untersucht. Die betrachteten dokumentarischen Strategien bewegen sich zwischen journalistischen, künstlerischen und aktivistischen Positionen, sie verweben Fakt und Fiktion und spüren Machtkonstellationen im Darstellungsprozess auf. Die bewusste Herstellung von Kontexten wird von fotografisch Erzählenden zunehmend als Möglichkeit begriffen, nicht zuletzt den Rahmen des Erzählbaren zu erweitern.
Das Buch erschien 2020 im Reimer Verlag, Berlin und zeitgleich bei arthistoricum als Open-Access Publikation zum kostenlosen Download.
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Hrsg. von Karen Fromm, Sophia Greiff, Malte Radtki und Anna Stemmler
Reimer Verlag, Berlin 2020, mit Texten in Deutsch und Englisch
352 Seiten, 168 Abbildungen
Book Launch
Da image/con/text. Dokumentarische Praktiken zwischen Journalismus, Kunst und Aktivismus im Herbst 2020 während der Coronapandemie erschien, veranstaltete das [IMAGEMATTERS]-Team einen Online-Book-Launch. Moderiert von Steffen Siegel diskutierten Karen Fromm und Susanne von Falkenhausen mit Edmund Clark und Martha Rosler über die Frage, wie das Politische zurück ins Dokumentarische gebracht werden könnte – oder inwieweit sich in dokumentarischen Praktiken aktivistische wie künstlerische und journalistische Perspektiven überlappen. Kann die bewusste Herstellung von Kontexten der Repräsentation einer komplexen Welt gerechter werden?
Zu den Biografien und Abstracts
Laia Abril Edmund Clark Joan Fontcuberta Prof. Dr. em. Susanne von Falkenhausen Thomas Helbig Prof. Eva Leitolf Max Pinckers Prof. em. Fred Ritchin Alisha SettBeiträge
SYMPOSIUM
– image/con/text
Das Symposium image/con/text. Komplementäre Zeugnisse im dokumentarischen Diskurs richtete vom 29.-30.10.2019 seinen Fokus auf aktuelle Arbeiten, die explizit auf eine Vermischung der Sphären des Les- und Sichtbaren zielen. Hat sich das Verhältnis von Bild und Text im dokumentarischen Diskurs der letzten 10 Jahre tatsächlich verändert? Über die Idee eines Vergleichs der Medien von Bild und Text hinaus untersuchte das Symposium die Gesamtheit und Komplexität der Relationen von Bild und Text in Projekten insbesondere aus dem Bereich Fotobuch, aber auch im Comic, Film, Multimedia und den Erzählformen des Archivs. Ein Hauptaugenmerk galt dabei der Frage, welche Auswirkungen die Vernähung von Bild und Text auf Konzeptionen von Zeugenschaft und Dokumentarismus hat. Kann die Idee der Komplementarität der Zeugnisse die Kluft zwischen Positionen absolutierter Wahrheit und Relativismus navigieren?
Nach Images in Conflict / Bilder im Konflikt war es das zweite Symposium der Diskursplattform [IMAGE MATTERS], die der Studiengang Visual Journalism and Documentary Photography initiiert hat, um Fragestellungen aus der fotografischen Bildpraxis und Diskurse der Bild- und Fototheorie sowie der Visual und Cultural Studies in einen Dialog zu bringen.
Vortragende
Edmund Clark Joan Fontcuberta Thomas Helbig Prof. Eva Leitolf Kai Pfeiffer Max Pinckers Alisha Sett Prof. em. Fred Ritchin Klaus Sachs-Hombach Anja SchürmannVideos
Tag 1 – Dienstag 29.10.2019
Tag 2 – Mittwoch 30.10.2019
Pressestimmen
zu image/con/text
BUCH
Deutschlandfunk Kultur / Kompressor:
Karen Fromm im Gespräch mit Massimo Maio
Foto \ Kunst \ Theorie. Der Sprengel FOTO-Blog:
Inka Schube: Auf der Suche nach neuen dokumentarischen Praktiken
Podcast auf dem LUMIX–Festival 2020:
„Neue Perspektiven des Dokumentarischen“: das [IMAGEMATTERS] Team im Gespräch mit Jan Nasemann